Von Heidi Jäger: Turbulenzen
Am Hans Otto Theater rumort es: Der neue Intendant wirft seine Schatten voraus / Eine Mahnung
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Das Junge Theater wird abgewickelt und geht – etwas verspätet – auf die Barrikaden. Das große Schauspiel sagt seine erste Premiere der neuen Spielzeit ab, weil Regisseur und Schauspieler sich zoffen. Was ist los am Hans Otto Theater?
Die Antwort ist so einfach wie kompliziert. Natürlich wirft der designierte Intendant, Tobias Wellemeyer, seine Schatten voraus. Er kündigte dem gesamten siebenköpfigen Jungen Theater und will fortan das Theater für Kinder und Jugendliche zur eigenen Chef- und Herzenssache machen, so wie er es auch in Magdeburg praktiziert. Erfolgreich, wie er sagt. Kein eigenes Haus mehr, kein eigener Leiter, kein eigenes Ensemble und vor allem kein eigenes Budget! Bei der Podiumsdiskussion am vergangenen Dienstag (PNN berichteten) mahnte der als Experte ausgewiesene Leiter des bundesdeutschen Kinder- und Jugendtheaterzentrums, Gerd Taube, deutlich an, dass es ratsam sei, dem jungen Theater einen eigenen Leiter zuzubilligen, um nicht zum fünfte Rad am Wagen zu werden. Denn sehr schnell könnte es passieren, dass bei den ohnehin eng bemessenen Finanzen die Prioritäten verschoben werden, und das Schauspiel für Erwachsene vor dem des Nachwuchses rangiert. Potsdams Jugendtheater war bislang gut aufgestellt: 7777 Abonnements sprechen für sich. Das große Haus hatte hingegen rund 1900. Rechnet man zudem, dass jedes Abo drei bis vier Vorstellungen beinhaltet, kommt man auf etwa 24 000 jugendliche Zuschauer, ohne den Freiverkauf. Magdeburg wartet mit rund 23 000 auf, hat aber 80 000 Einwohner mehr. Der neue Chef sollte also genau hingucken, wenn er verändert.
Unter seiner Generalintendanz gab es sechs Produktionen für Kinder und Jugendliche, Potsdam trumpfte mit mehr als dem Doppelten auf. Hinzu kommt die neue Reihe „Impro“, die sogar Studenten mobilisierte, die sonst einen großen Bogen um das Theater machten. Der Raum Reithalle A scheint also angenommen, auch wenn Kinderkrankheiten, einschließlich inszenatorischer Flops, nunmal dazu gehören.
Wellemeyer möchte keinen Separatismus. Reithalle und Schauspielhaus sollen allen gehören: Groß und Klein. Dagegen ist erst einmal nichts zu sagen: Denn wer früh auch das „große Haus“ betritt, bekommt gar nicht erst Schwellenangst. Andererseits wird wieder ein Fixpunkt der Jugend aufgegeben, und das in einer Zeit, wo der Unmut über den geschlossenen Spartacus, das angeschlagene Waschhaus und den kippeligen Lindenpark überzuschwappen droht. Warum also schaut man sich nicht erst einmal genau an, was in einer Stadt vor sich geht, bevor man alles auf den Kopf stellt. Natürlich kann ein Neubeginn fruchtbar sein, ein produktives Chaos inspirieren. Doch Wellemeyer bringt fast sein ganzes Team mit nach Potsdam, von den Schauspielern über die Dramaturgie bis zur technischen Leitung. Dabei sagt er selbst, dass er sich in Magdeburg „auserzählt“ habe. Wo bleibt der Input, wenn ich das Alte nur an eine neue Stelle verpflanze? Warum nicht Altes und Neues aneinander reiben lassen und etwas Drittes kreieren. Wellemeyer befindet sich in bester Tradition, denn bei jedem Intendantenwechsel wird Kehraus gemacht. Er aber fegt besonders gründlich. Außer Rita Feldmeier und Philipp Mauritz wird kein Schauspieler übernommen. Das wiederum ist peripher mit ein Grund, warum die Uraufführung von Fontanes „Stechlin“ ins Wasser fiel. Die meisten darin mitwirkenden Schauspieler müssen sich nämlich neu bewerben und wollen nicht in einer Aufführung zu sehen sein, die floppt. Also rebellieren sie.
Die Gefahr eines Desasters wäre groß gewesen, bestätigt Noch-Intendant Uwe Eric Laufenberg auf Nachfrage. Er hatte sich Regisseur Roland Schäfer ans Haus geholt, weil er die sehr erfolgreiche Inszenierung „Die Exzesse“ von ihm gesehen hatte. Das „Stechlin“-Angebot nahm der Schaubühnen-Veteran mit Kusshand an und schrieb auch eine eigene Theaterfassung des Romans. Nicht zu dick, mahnte Laufenberg, doch Schäfer verstrickte sich in Details. Nach acht Wochen Proben sahen die Schauspieler nicht mehr, wo es lang geht und reagierten unwirsch. „Schäfer hat sich im Gestrüpp des Romans verloren. Meinen Grundsatz, der ,Lappen geht hoch“, musste ich diesmal brechen, aber es fiel mir nichts anderes ein. Eine vier- bis fünfstündiger Abend ist einfach keinem Zuschauer zuzumuten und eine Verschiebung der Premiere um vier Wochen hätte alle anderen dicht folgenden Premieren durcheinander gewürfelt.“ Die Absage sei unglücklich. Das trübe aber nicht seine Zeit in Potsdam. „Die war gut und schön.“ Und dass Intendanten gerne ihre alte Mannschaft mit an den neuen Ort nehmen, verstünde er durchaus. „Man kann sie besser auf sich motivieren und muss sich nicht an die Erfolge anderer hängen. Schmeißt man alle raus, kann keiner mehr sagen, früher war alles viel besser“, sagt Laufenberg.
So einfach ist oft die Antwort, wo man Kompliziertes vermutet. Gerade deshalb wäre Fontanes „Stechlin“ ein passgenaue Offerte in dieser Umbruch-Zeit gewesen, zeichnet er doch ein Bild Preußens, das sich gegen Neues abriegelt, ohne zu wissen, wie das Alte wirklich war.
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