
© A. Klaer
Kultur: Turmbau zu Bertini
Die Künstler von „Ornament und Versprechen“ zum Thema Spionage, Lust und Kontrollverlust
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Drei Männer bauen einen Turm. So sieht es aus am Mittwoch vor der Ausstellungseröffnung „Peeping Tom ...“ im Kunstkontor. Galeristin Friederike Sehmsdorf steht neben den drei Künstlern, Mike Bruchner, Mike Geßner und Steffen Mühle, die im Vorgarten zugange sind, schneidet trockene Blüten aus den Hecken und beobachtet die Vorgänge aus dem Augenwinkel. Das Schrauben und Sägen, das Entstehen eines seltsamen turmartigen Gerüsts aus Sperrholzlatten und Platten, fünf Meter hoch. „Kommt da noch Farbe drauf oder Blattgold?, fragt Sehmsdorf.
Auf keinen Fall, sagt Steffen Bruchner. „Wir lassen das so, hat doch Charme.“ Dann schaut Bruchner, Jahrgang 1965, geborener Potsdamer, die hübsch sanierte Bertinistraße runter, stadteinwärts, schnippst eine Zigarettenkippe über den Gartenzaun und sagt: „Die ganze Straße hier riecht nach diesem Vintagescheiß.“ Warum nicht mal etwas roh lassen? Und bitte, auch wenn es so aussieht: „Das hier ist kein Spiel. Alles, was wir machen, hat einen politischen Hintergrund.“
Diese Aussage steckt schon im Namen der Künstlergruppe. „Ornament und Versprechen“ nannte man sich, als man vor knapp zehn Jahren befand, sich auch mal gemeinsam künstlerisch zu äußern. „Ornament und Versprechen“ ist dabei ein klares Bekenntnis zur Kunst. Und eine Absage an die These von Adolf Loos. Der österreichische Architekturkritiker, des Jugendstils überdrüssig, hatte sich 1910 in seiner Schrift „Ornament und Verbrechen“ gegen Zierrat und Schmückendes in der Architektur gewandt und Sachlichkeit, Klarheit, Schönheit aus sich selbst heraus gefordert.
„Also wir machen gerne Ornament“, sagt Steffen Mühle. Das Versprechen findet sich in der Botschaft. Immer gesellschaftskritisch oder zumindest gesellschaftlich relevant. Im aktuellen Ausstellungsprojekt geht es um die fortschreitende Überwachung und Kontrolle des Menschen durch den Staat aber auch durch die Mitmenschen und technischen Entwicklungen. Es geht um Videokameras im Einkaufszentrum und am Gartenzaun, um digitale Überwachung und Spionage. Um Voyeurismus, Angst und Verletzbarkeit. Der Name des Projekts: „Peeping Tom ...“, zu Deutsch etwa „Heimlich guckender, linsender Tom“. Inspiration lieferte ein gleichnamiger Spielfilm aus dem Jahr 1959, in dem es um Schaulust und Todessehnsucht geht. Und jenen „Peeping Tom“, der sich, so der Mythos, die nackte Lady Godiva anschaute und erblindete.
Die drei Künstler inspirierte das zu einer gemeinschaftlichen Lyrikmappe und zum Bau zahlreicher turmartiger Objekte, teil-plastische Wandreliefs, je etwa einen Meter hoch. Dünne Holzleisten wurden so zusammengesetzt, dass sie an Strom- oder Funkmasten, Radar-Antennen, Jägerhochsitze oder Grenzwachtürme, wie einer noch um die Ecke am Ufer des Jungfernsees steht, erinnern. Scheinbar fragil, aber geadelt durch Farbe, samtiger Kreide- und Pigmentanstrich, stellenweise poliert und sogar versilbert, geht von ihnen eine Ernsthaftigkeit aus. Nicht wie harmloses Spielzeug oder Mumpitz, sondern wie etwas Geheimnisvolles oder gar Bedrohliches wirken sie. Manche sehen aus wie technische Messgeräte, andere scheinen lange, dünne Fühler auszustrecken, in die Welt hinein. Und bei einem Objekt erinnern die hölzernen Strahlen an den Strahlenkranz mittelalterlicher Heiligenbilder. Je länger man hinschaut, desto mehr Assoziationen fallen einem ein. Auch den Künstlern ging es so. So haben sie einen Turm mit einer Art Tapete voller winziger Turmspringer-Männeken kombiniert. Man wolle bei all dem Ernst auch witzig und humorvoll bleiben.
Beim Aufbau jedenfalls haben sie Spaß. Bruchner, Geßner und Mühle lassen den Akkuschrauber kreisen. Halten Leisten in und an den Turmbau im Garten, schauen, wie es wirkt, welche Sichten und Effekte sich ergeben. Nicht zu konform, aber auch nicht zu lächerlich soll er wirken. „Er darf nicht wackeln“, sagt Friederike Sehmsdorf, nicht dass das Probleme gibt, wenn Kinder an das Bauwerk rangehen. Spaziergänger und Nachbarn schauen jetzt schon, in der Bauphase, sind neugierig. Zur Vernissage soll auf dem Rondell der Kreuzung vor dem Haus ein zweiter Teil des Turmbaus stehen.
Wann der Turm fertig ist, lässt sich schlecht sagen. Immer wieder sehen die Männer etwas, das noch geändert werden soll, flexen überstehende Latten schwungvoll ab, „weg damit“. Ein auf dem Boden landendes Reste-Stück sieht plötzlich aus wie ein Kreuz und stellt alles infrage – was ist Kunst, was ist Abfall? Sehmsdorf findet jetzt doch ganz spannend, was hier passiert. Was mit dem Bauwerk passiert, wenn es abgebaut werden muss, ist noch unklar. „Schenken wir es der Stadt“, schlägt einer vor, „für den Skulpturenpfad. Als das, was vom Garnisonkirchenturm übrig blieb.“
Vernissage am kommenden Sonntag um 16 Uhr im Kunstkontor, Bertiniweg 1 a
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