Kultur: Über das Anderssein
Die Berliner Company „Shakespeare & Partner“ zeigt ihre jüngste Produktion „Othello“ im T-Werk
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Das Licht bleibt an. Auch die Zuschauer sitzen im Hellen. Sie spielen bei dieser Aufführung mit. Nicht, dass sie selbst zum Akteur werden und im Spot des Scheinwerfers unfreiwillig Kommentare abgeben müssen. Vielmehr geht es um ihre sichtbare Anwesenheit, um das inhaltliche und gefühlsmäßige Einbezogensein. Die sogenannte vierte Wand, die das Theater zum Musentempel erhebt, auf den man ehrfürchtig hinaufschaut, wird eingerissen.
Damit dockt diese „Othello“-Inszenierung, die ab morgigen Freitag im T-Werk zu sehen ist, an die Ursprünge an, so wie sie einst von Shakespeare vor gut 400 Jahren praktiziert wurden. Auch damals saßen die Zuschauer im Hellen. Es gab ja schlichtweg noch kein Licht. Also spielte man am Tage. Und dabei ging es sehr lustvoll zu. Der Oscar-gekrönte Film „Shakespeare and Love“ hat’s vorgeführt, wie lebensprall Theater einst war. Nichts Akademisch-Hölzernes, sondern Volkstheater mit Liebes- und Prügelszenen, aber durchaus auch mit philosophischem Tiefgang.
An diese Spielweise des modernen Volkstheaters, bei dem man den Kopf mitbringen kann, aber das Sinnlich-Komische, die Unterhaltung, nicht ins Hintertreffen gerät, will diese Aufführung anknüpfen. Die Zuschauer sollen beim zweitägigen „Othello“-Gastspiel der Berliner Company „Shakespeare & Partner“ zu Partnern werden. Sie sehen dabei zu, wie sich ein Schauspieler vor ihren Augen schwarze Farbe ins Gesicht schmiert und allmählich zum Mohr wird. Wie sich drei der sechs Männer wie zu Elisabethanischen Zeiten Frauenkleider anziehen. Einer steigt in die Rolle der Desdemona, Othellos Geliebte, einer wird zu Emilia, der Frau von Jago, dem Intriganten, der Othello ins Unglück stürzt. Ein anderer wiederum streift sich die Kleider der Kurtisane Bianca über, die als „Casino-Flittchen“ für das Wohlbefinden der Soldaten zu sorgen hat, sich selbst aber nach der großen Liebe verzehrt und ganz bürgerlich heiraten will. Die Zuschauer sind indes mal Ratsversammlung, mal Volk von London oder Zypern oder das Soldatenheer. Denn schließlich wird Krieg geführt. Nicht nur psychisch, sondern handfest auf dem Schlachtfeld. Mit Othello als General. Er ist kein stumpfsinniger Drillmeister, sondern zivilisiert und eloquent. Kultivierter als die anderen und erfolgreicher. Aber er ist ein Mohr. Das wiederum macht es leicht, andere gegen ihn aufzustacheln.
„Es geht in unserer Inszenierung aber nicht nur um die Diskriminierung von Andersfarbigen. Der Mohr steht symbolisch für das Fremde, für das Exotische, das Anderssein. Das kann auch ein Mensch im Rollstuhl sein, noch immer der Türke oder eine Frau wie Angela Merkel, die sich in den inneren Zirkel der Männer vorgekämpft hat und trotzdem kritischer gesehen wir als ihre Kollegen. Ja, und vielleicht bin sogar ich dieser Exot?“ Es ist für den Schauspieler Andreas Erfurth vor allem aber die Geschichte der zu kurz Gekommenen, die sich in „Othello“ offenbart. Der Potsdamer hat die wohl zwiespältigste Rolle der Tragödie dabei übernommen, die des Jago: Ein Kampfschwein, das Othello in allen Schlachten beigestanden hat und dann doch nicht in der Hierarchie aufsteigen darf. Ein Jüngerer wird ihm vor die Nase gesetzt, ein Technokrat. Natürlich hadert Jago mit seinem Schicksal, fragt sich, was wäre, wenn ich den Chefposten gekriegt hätte? Mehr Geld, mehr Ansehen. „Das, was Männer antreibt, ja heute vielleicht sogar noch mehr. Denn auch der Wettbewerb hat in der sich immer schneller drehenden Welt an Rasanz gewonnen. Die Verwurzelung in der Gesellschaft, wo man seines Platzes sicher ist, gibt es nicht mehr. Das Karrieredenken siegt über das Humanitäre. Das Menschsein bleibt auf der Strecke. Und das findet im Büro genauso statt“, sagt Andreas Erfurth.
Sein Jago greift zur Intrige, um sich zu rächen. Er flüstert Othello ein, dass Desdemona ihn betrügt: „Du bist schwarz, warum soll so eine tolle Frau wie Desdemona dich da lieben?“ Und schließlich stellt sich dieser hochempfindsame Othello selbst infrage und zerbricht daran.
Andreas Erfurth gibt seine Figur als einen Entertainer, der durch das Programm führt und mit den Zuschauern eine Komplizenschaft eingeht. In ihm steckt zwar die Lust am Zerstören, das Böse, aber sie kommt auf freundliche Art und Weise daher. „Man solidarisiert sich am Anfang durchaus gern mit ihm, schließlich ist ihm ja Unrecht widerfahren. Doch am Ende schauen alle gemeinsam in den Abgrund.“ Natürlich habe auch sein Jago Emotionen, die er aber als Gefahr sieht und bezwingen will. „Wenn er zu Othello sagt: ,Hüte dich vor Eifersucht, denn die ist das grünäugige Monster’, spricht er von sich selbst. Jago weiß um das menschliche Gefühl, nicht gebraucht zu werden, nicht seinen Platz zu haben.“
Andreas Erfurth hat offensichtlich seinen Platz gefunden, auch wenn es für den Familienvater von drei Kindern finanziell gesehen eine Katastrophe ist, und er nebenbei noch Werbespots dreht oder im Radio spricht. Denn „Shakespeare & Partner“ produzieren ihre Stücke ohne jede Subvention. Ihren „Othello“ haben sie durch ein zinsloses Darlehen ihrer „Kulturpaten“ finanziert. 25 000 Euro kamen von Bekannten, aus dem Familienkreis und aus der Wirtschaft zusammen: geborgt für ein Jahr. „Von der Bank haben wir keinen Kredit bekommen, also sind wir zu Menschen gegangen, die wir kennen.“ Ja und bis Ende Juli hat die kleine Truppe bereits so viele Vorstellungen verkauft, dass sie das geborgte Geld zurückzahlen kann. Als Dank spielen sie heute für diese Kulturpaten im T-Werk eine Extra-Vorstellung. Gemeinsam etwas formen, an allem beteiligt sein, das sei zugleich schön, aber auch schrecklich, so der Schauspieler. „Man muss schauen, ob noch Klopapier da ist, muss sich um Geld kümmern, Karten abreißen. Diese Nähe, zu dem was ich mache, habe ich in diesem Maße noch nicht erlebt.“ Andreas Erfurth, der unter anderem am Berliner Ensemble, im Renaissance Theater und in der Tribüne Berlin spielte und von 1999 bis 2002 am Hans Otto Theater Potsdam engagiert war, ist seit 2009 bei der Companie, die ohne eigenes Haus über Land tourt und sich für die Fläche zuständig fühlt. „Wir spielen in der Wannsee-Kulturscheune ebenso wie in Eberswalde-Finow.“ Nun sind sie zum ersten Mal in Potsdam zu Gast und wollen auch hier in der Regie von Markus Weckesser den Theatertempel entheiligen.
Und wo bleibt das Prickeln, wenn Othello seine Desdemona küsst, wenn Desdemona von einem Mann gespielt wird? „Die Leute lachen natürlich erst einmal. Aber wir bedienen ja nicht die Travestie-Schiene. Das Drama bleibt trotzdem erhalten“, ist sich der Schauspieler sicher.
Zu sehen am Freitag und Samstag, dem 29. und 30. Juni, jeweils 20 Uhr, T-Werk, Schiffbauergasse 4E, Karten unter Tel: (0331)719139
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