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Kultur: Über Tage ist unter Tag

Werner Bräunigs großer Roman „Rummelplatz“

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Dieses Licht in der Nacht, dieser Lärm. Über Tage ist unter Tage, hier auf dem Rummelplatz in Bermsthal. Die, die gemeinsam in einer Schicht im Berg schuften und das Erz brechen, hocken auch hier zusammen, in dieser nur von grellem Lampenlicht verdrängten Dunkelheit. Flucht vor der stumpfsinnigen Arbeit im Schacht, die die Stunden nur langsam zerreibt. Doch die Flucht unters Dach des Bierzelts, wo Suff und zotiges Gerede die Stunden zerreibt, ist nur eine andere Form des Trotts unter Tage.

„Rummelplatz“ heißt der über 600 Seiten lange Roman von Werner Bräunig, der im Frühjahr im Aufbau Verlag erstmals vollständig erschienen und fast einstimmig als Entdeckung gefeiert wurde. „Rummelplatz“ hieß auch das Kapitel, das Bräunig 1965 in der Zeitschrift „Neue Deutsche Literatur“ vorabdrucken ließ und dazu führte, dass sein Roman in der DDR nie vollständig erscheinen konnte. So viel Realismus war den Oberen dann doch etwas zu viel. Ob Bräunig daran zerbrach, dass sein großes Romanprojekt scheiterte, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Tiefe Spuren hat es auf jeden Fall hinterlassen. Werner Bräunig starb am 14. August 1976 im Alter von 42 Jahren in Halle. Sein Körper war dem Alkohol nicht mehr gewachsen.

Am Dienstag war die Herausgeberin von „Rummelplatz“, Angela Drescher, in die Stadt- und Landesbibliothek gekommen, um Autor und Buch vorzustellen. Der Berliner Schauspieler Frank Arnold las aus dem Roman. Und es war vor allem Arnold, der zeigte, welche Farbe, welche Kraft und welches Leben noch immer in Bräunigs Sprache und Thematik stecken.

Auf der Leipziger Buchmesse 1995 wurde Angela Drescher vom ältesten Sohn Bräunigs angesprochen, der das Manuskript von „Rummelplatz“ in einer Tasche bei sich trug, wie Drescher den zahlreichen Zuhörern erzählte. Es hatte lange gedauert, bis Claus Bräunig das Manuskript seines Vaters erhielt. Und es sollte noch einmal lange dauern, bis der Roman endlich in den Buchhandel kam. Eine späte Wiedergutmachung. Seit einem halben Jahr ist „Rummelplatz“ auf dem Markt: in der 5. Auflage. Über 35000 Exemplare wurden bereits verkauft.

Wer von „Rummelplatz“ spricht, muss auch vom Leben Bräunigs reden, das selbst Romanstoff wäre, wie Drescher sagte. Unstet in der Jugend im Nachkriegsdeutschland zwischen Schwarzmarkthandel, verschiedenen Arbeiten und Gefängnis, begann Bräunig Anfang 20 mit dem Schreiben, ging ans Literaturinstitut in Leipzig, erst als Student, dann als Dozent. Mustergültig war Bräunig da, Parteimitglied. Aber nicht aus Anpassung. Er glaubte daran, dass der Mensch in der DDR endlich ein ehrliches Vaterland finden könne. Wie sehr er sich täuschte, sollte er erst merken, nach dem er „Rummelplatz“ in der Zeitschrift „Neue Deutsche Literatur“ veröffentlicht hatte.

Als großer Gesellschafts- und Entwicklungsroman hatte Bräunig „Rummelplatz“ angekündigt. Das Deutschland in den Jahren 1949 bis 59 wollte er skizzieren. Drei Handlungsstränge wählte er dafür. Die Wismut AG, der bekannte Uranbergbau-Betrieb im Erzgebirge, eine Papierfabrik und Westdeutschland. Bräunig schuf ein Panorama und Figurenensemble, mit dem er Probleme und Konflikte thematisierte, die noch heute aktuell sind. Auch wenn „Rummelplatz“ zum Ende hin ein wenig fasrig wirken mag, weil Bräunig, bedingt durch die politische Diskussion und die absehbare Nichtveröffentlichung, sein Romanprojekt nicht mehr zum Abschluss brachte. Und auch wenn man die Interpretationen mancher politischer Ereignisse nicht teilen muss, wurde an diesem Abend in der Stadt- und Landesbibliothek deutlich, warum dieser Roman als Entdeckung gefeiert wird. Werner Bräunigs schlichte und gleichzeitig so treffsichere Sprache mag einer der Gründe sein. Doch der Hauptgrund ist, dass seinen Figuren tief in die Seele kriechen und so dem Leser oft genug einen Spiegel vorhalten. Es ist gnadenlose Ehrlichkeit, die Bräunig hier aufs Papier brachte, ungeschminkt und ungeschönt. Wenn man so will, spricht Bräunig seinen Figuren direkt aus dem Herzen. Und trifft dabei oft genug auch in das unsrige.

Dirk Becker

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