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Kultur: Übergriff des Fremden

Das Theaterfestival Unidram wurde mit „Divadlo“ von „Farm in the Cave“ aus Prag eröffnet

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Am Ende landen alle im Orkus der Geschichte: Schänder und Geschundene, Herren und Knechte, Angepasste und Widerständler. Was von ihnen bleibt, ist ein Häufchen Sand. Der weht am Mittwochabend wie leise mahnende Stimmen aus dem Jenseits auf die Bühne: aus dem dunklen Loch, das sich wie ein Grab menschlicher Lust und Pein in der Manege öffnet. Bedrohlich, versöhnlich? Auf jeden Fall als Zeichen der Vergänglichkeit.

Die Eröffnung des 18. Internationalen Theaterfestivals Unidram auf der „fabrik“-Bühne ist ein furioser Ritt durch die immerwährenden Kämpfe menschlicher Niedertracht und Willkür. Bild- und temporeich „erzählen“ zwölf Tänzer in einer schier explosiven Körpersprache von Macht und Machtmissbrauch, Unterwerfung und Auflehnung, Selbstbehauptung und seelischer Zermürbung. Das dichtgewebte skurrile Tanztheater ergießt sich wie eine Sturzflut über die Zuschauer, lässt ihnen aber auch Oasen zum Durchatmen.

Ein hartes Trommelfeuer gibt den Takt vor, dazu aufgeregtes Frauenkreischen, Männer, die sich wie Hähne gerieren. Tänzer stapfen lustvoll in die kastenförmige Arena, wiegen ihre Körper tranceartig wie bei einer Beschwörung im Kreis. Schließlich gibt einer mit Schnauzbart einen neuen Schritt vor, bringt die anderen auf „Maß“: wie Charlie Chaplin als „Großer Diktator“. Frauen in schönen langen Kleidern mischen sich zwischen die Tänzer im schlichten Einheitslook. Zwei Welten prallen aufeinander: die geerdete, seit Jahrhunderten vertraute und die künstliche, plötzlich übergestülpte.

Die Gruppe „Farme in the Cave“ aus Prag wirft in ihrem Stück „Divadlo“ vor dem Hintergrund der einstigen Kolonialisierung Amerikas einen Blick auf die Spätfolgen: für die europäischen Eroberer wie für die Ureinwohner. Sie stricken daraus ein expressives Tanzfest, das begeistert und erschreckt, aufwühlt und innehalten lässt. Es gibt Samba und Flamenco, brasilianische Cavalo marinho und europäische Klassik. Von einer Sekunde auf die andere verkehren sich die Situationen: wird aus der Trompete ein Maschinengewehr. Poesie und Zerstörung – gepaart in einer aufschreckend sinnfälligen Allianz.

Mittendrin in dieser Auseinandersetzung, die die Tänzer über die Bühne rutschen, stampfen oder schweben lässt, ragt plötzlich ein silberner Metallstab auf. Wie eine Trophäe, ein Pfeil oder ein Strohhalm der Hoffnung. Doch er wird auch zum Kreuz, an dem das Blut des Verrates klebt.

Nicht alle Sequenzen erklären sich und doch wird fühlbar, was es heißt, wenn sich Fremdes über Vertrautes stülpt, Angst die Liebe lahm legt. Die Tänzer zerren sich die Sachen vom Leib, zwingen dem anderen ihre Kleider auf.

Eindringlich das Bild, als die Darsteller mit geschlossenen Beinen über die Bühne rutschen, wie eine an Land gespülte Nixe. Man spürt die Qual, sich in diesen unsichtbaren Fesseln zu bewegen. Dann wieder gibt es einen Goldrausch, regnet verheißungsvoll flimmerndes Kapital vom Himmel. Menschen werden angefüttert und genarrt.

Der Kolonialist tritt auch augenscheinlich in Aktion: als kleine Marionette mit weißem Hut und dunklen Anzug, die fast liebevoll am Körper des Eingeborenen emporsteigt und sich leichtfüßig wie ein Reiter auf dessen Schulter setzt. Am Ende stehen beide am Abgrund, die kleine Figur und der aufragende Mann. Wer stürzt wohl als erstes dort hinein?

Die oft aggressiv-militante, dann wieder humorvolle Farce fesselt und hinterlässt einen bitteren Nachgeschmack. In der Rasanz des Gesehenen verschwimmen am Ende die Bilder, bleibt eher ein Gefühl als eine wirklich greifbare, nacherzählbare Geschichte. Doch die Intensität dieses Gesellschaftsporträts, an dem bis heute immer wieder neu gemalt wird, setzt sich fest wie eine nebulöse Treibjagd und wird von den Zuschauern begeistert beklatscht. Die bereits zum dritten Mal bei Unidram gastierenden Tschechen unter künstlerischer Leitung von Viliam Docolomansky mischen sich ein in den Kanon menschlicher Zerwürfnisse, trumpfen auf mit atemberaubenden Tanz, ohne die Bodenhaftung zu verlieren. Und bei den Ureinwohnern gehören dazu immer auch die Ahnen, die sich in die Nachwelt eingraben.

„Pünktlich zu Halloween wachsen bei Unidram die Geister und Spukgestalten aus der Erde, geht es um Zwischenreiche, Unterwelten und die Hölle“, sagt die Fachbereichsleiterin für Kultur und Museum, Birgit-Katharine Seemann zur Eröffnung des fünftägigen Festivals, das mit „Divadlo“ verheißungsvoll und in schwindelerregender Fulminanz an den Start geht und durchaus auch ins Diesseits greift.

Theaterfestival Unidram bis zum kommenden Sonntag, dem 6. November, in der Schiffbauergasse. Karten und Infos unter www.unidram.de oder Telefon (0331) 71 91 39

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