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Von Heidi Jäger: Überraschung

Premiere im Hans Otto Theater: „Frohes Fest“ begeisterte mit schwarzem Humor und Spielwitz

Stand:

Kreuzfahrtschiffe fahren über die Tapete. Davor ein plüschiges Sofa mit samtig roten Kissen. In dieser Wohnung passt nichts zusammen und doch alles. Es ist der Ort, an dem an diesem seligen Weihnachtsabend alles aus dem Ruder läuft. Auf der Bühne der Reithalle A spielt eine Geschichte, die nicht erzählt werden darf, denn sie lebt von der Überraschung. Doch anders als bei einem wirklich „Frohen Fest“ gereichen hier die Gaben nicht zur Freude. Immer wieder reiht sich ein Missverständnis an das andere, führt atemlos zu neuen Wendungen, bis das Kartenhaus falscher Rücksichtnahmen wie der Berg an Geschenken in sich zusammen fällt.

Schuld an allem sind Blunt und Gobbel: zwei Polizisten, die mit einer schrecklichen Botschaft vor der Haustür von Garson und Balthasar stehen. Sie sollen den armen alten, womöglich schon kränklichen Eltern sagen, dass ihre Tochter bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen ist. Doch ist der Überbringer der Todesbotschaft nicht auch selbst ein bisschen der Mörder? Diese zwei armen Tropfe, Hüter des Gesetzes mit dem Gemüt von Gartenzwergen, bringen es einfach nichts übers Herz, das Messer der Wahrheit ungeniert in die Brust der Eltern zu rammen. Und so verstricken sie sich von einer Notlüge in die andere und übertrumpfen sich dabei in ihrer einfältigen Größe.

Anthony Neilsons Komödie hält, was englischer Humor verspricht. Zielgenau tritt er in alle menschlichen Fettnäpfe und kostet genüsslich die bitter-schwarzen Pointen aus. Regisseur Tobias Rott hält ganz im Sinne des dialogsicheren Autors die Spielfäden straff in der Hand. Er lässt all seine Akteure ins rechte Loch fallen, aus dem sie im neuen Licht wieder heraus katapultieren. Haarscharf umschifft Rott dabei mit einer agil-spielwitzig auftrumpfenden Mannschaft alle Ausrutscher ins Klamaukige. Das Komödiantische liegt im tiefen Ernst. Keiner verrät hier seine Figur und führt sie gerade dadurch in die Absurdität.

Mit Moritz Führmann und Henrik Schubert stehen dem Regisseur das perfekte, einfach gestrickte Polizisten-Paar zur Seite, das sich gegenseitig nichts an tapsiger, liebevoller Naivität schenkt. Einer übertrifft den anderen in seinen harmlosen Geistesblitzen, die immer aneinander vorbei einschlagen. Während Führmann der dumme August bleibt und als kuschelig, warmherzig brummender Teddybär besticht, schwingt sich Henrik Schubert facettenreich als der vermeintlich Klügere aufs hohe Ross, das immer wieder aufbäumend mit ihm durchgeht. Die beiden hängen aneinander wie zwei alte Latschen und schlürfen mit ihnen durch die ungestüme Welt, als seien sie zehn Nummern zu groß.

Schon ein Mannsweib wie Gronya, der Rächer aller geschändeten Kinder, setzt die beiden schnurstracks außer Gefecht. Mit drohender Gebärde lässt diese(r) langmähnige blondierte Brutalo die vielleicht nur scheinheiligen, als Polizisten verkleideten pädophilen Helfershelfer wie Marionetten „Glückwunsch-Stripper“ spielen. Christian Klischat hat mit hohen Pumps und strammen Waden schon äußerlich die Lacher auf seiner Seite, doch in seiner nicht nachlassenden wutschnaubenden Aggression wirkt er auf Dauer etwas überanstrengt. Helmuth G. Fritsch hält zwar auch an seinem Ton der stoischen Ruhe unnachgiebig fest, aber sein Balthasar lebt vom Unterschwelligen. Auch er ist mit seiner angetrauten Garson ein ungleiches Paar, das sich nur über die gemeinsame Liebe zur Tochter durch die Jahre hangelt.

Sabine Scholze kann in ihrer Rolle am meisten überraschen. Ständig wechselt sie als die sich ungeliebt fühlende Gattin zwischen glasklarem Blick und tiefer geistiger Verwirrung. Auf ihrem Kreuzfahrtschiff, das sie vor Jahrzehnten über die Meere trug, geht sie nun innerlich vor Anker. Und nimmt unser Polizistenpaar als Käpt“n und Vizekönig gleich mit an Bord. Ein herrliches Spiel entspinnt sich, wenn alle an dem unsichtbaren Teewagen in der „Kajüte“ zur Tasse greifen und sich genüsslich an dem nicht vorhandenen süßen Getränk laben.

Dieser von Bühnenbildnerin Susanne Füller kräftig „aufgetakelte“ Meeresstürmer sticht weit in See, rammt Eisblöcke und bringt sie zum Schmelzen. „Frohes Fest“ manövriert als vielbeklatschte rasante Komödie zwischen Tragik und Humor und macht dabei allem wohlgefälligen Plüsch den Garaus.

Wieder am 28. und 29. November, Reithalle A, Schiffbauergasse.

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