
© Andreas Klaer
Kultur: Unbeirrt singt er weiter
Wenzel „Solo: Live“ im Thalia
Stand:
So richtig alt ist dieser hochgewachsene Sänger mit seinem gestreiften T-Shirt und der verräucherten Bardenstimme des Jahrgangs 1955 wohl noch nicht geworden. Klar, Hans-Eckard Wenzel begründete vor Urzeiten mal „Liedertheater Karls Enkel“, wo er sich auf Marx und Lenin berief, bannte Neues und ein „Letztes aus der DaDaeR“ noch rasch auf Ost-Vinyl, bekam etliche Ehrungen und Preise. Es ist immer noch die melancholische Narretei, der künstlerische Anarchismus, die Wenzel umtreiben. Am Freitagabend gastierte der vielseitige Liedpoet – er ist Autor, Komponist und kongenialer Interpret eigener und fremder Schöpfungen – unter dem ultimativen Logo „Wenzel: Solo: Live“ im Babelsberger Thalia Filmtheater. Genau dieser Wenzel sang alte und neue, eigene und fremde Gesänge so wie einst in der legendären „Hammer-Rehwü“ von 1981 oder wie es auf den alten Platten erinnerlich ist: unangepasst, kühn, frech, sich selber sicher; und alles sinnenfroh und verspielt?
Natürlich sind Wenzels Texte poetisch, seine Moderationen witzig-klug und immer noch etwas clownesk, seine Begleitmusik für E-Piano, Akkordeon, Gitarre sehr hörenswert. Aber läuft er nicht ins Ewig-Leere, wenn er als erklärter Feind aller Reichen und jeden Reichtums im Publikum nicht wirklich Zu- noch Widerspruch erntet? Sind seine poetischen Hörgesänge dann nicht eher wirkungslos? Taugen da noch die alten Kamellen, etwa die von jenem Meer, der „Ost-See“ nämlich, das nach einem Volksstamm benannt sei? Oder „Freiheit, die wir kennen, reicht zum leben nicht“? Wer ist wir, und welche Freiheit meint er? Nein, dieser Wenzel hat sich nicht so verändert. Noch immer verweigert er den Kurzhaarschnitt, die politisch korrekte Denkart, ein Nichtraucher-Bekenntnis. Das Publikum ist ein anderes geworden. Sein Spott, seine Pointen kommen zwar immer noch an, aber richtig zünden wollten sie nicht, auch wenn ihm statt des Mondes jetzt „der Dax aufgegangen“ ist und er ins Volk ruft „Lasst uns für die Banken sammeln, macht die Milliardäre stark!“ Satire ist schön, doch geholfen hat sie nie. Wie kommt es, fragte er sich da, dass man im Alter hinnimmt, was einen in der Jugend so bitter empörte?
Die Betitelung dieses Konzertes im Kino – übrigens eine gute Idee – scheint nicht ganz klar. Das Thalia hat es unter „Noch schöner lügen“ als Wenzels neuestes angekündigt, 1999 gab es schon eins ohne „noch“. Zugleich stehen auf dem Werbezettel die drei Worte „Wenzel: Solo: Live“, was auf ein anderes Opus des Jahres 2008 verweist. Doch wie auch immer; will sich schon Wenzel nicht zuordnen lassen, warum dann seine Programme? Und mal ehrlich, so viel war ja über das Noch-Schöner-Lügen nun auch nicht zu hören. Er besang das edle „Heringsdoof“ an der Küste, Mohn und Kamille, Alles oder Nichts, beschrieb seine „Lebensreise“, echte und falsche Freunde, Liebe und Verrat, beklagt, dass es letztlich ja doch immer nur auf „Nur was sich zählen läßt, ist wahr“ hinausläuft. Dabei gibt es viel größeres Lügen in der Welt, schlimmeres. Und dann der Wunsch, einfach mal eine kleine Wirtschaft zu führen! Er sang Theodor Kramer, Woody Guthrie, zitierte einen falschen Goethe, den Wenzel echt. Er weiß, was hier gehauen und gestochen ist, und dass kein Lied den Lauf der Welt mehr stoppt, nicht Poesie. Er singt dennoch weiter, trotzig im Bewusstsein, dass die, denen er ans Leder will, schon Hundert Tode für ihn ausgedacht haben. Gerold Paul
Gerold Paul
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: