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Von Heidi Jäger: Und die Fantasie geht los
Anne Hirth bringt heute „Hares on Skates“ auf die Bühne: Bewegungstheater zum Thema Paradoxien
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Anne Hirth braucht Zeit. An einem Stadttheater zu arbeiten und in sechs Wochen eine Inszenierung auf die Bühne zu „peitschen“, wäre für sie undenkbar. Überhaupt hat sie mit fertigen Stücken und einem festen Ensemble nichts am Hut. Sie setzt auf Assoziationen und auf wechselnde Partner, die in ihrem Theater-Puzzle ganz eigene Teile hinein legen.
Oft braucht es einen langen Anlauf, bis ihre Fantasie auf Wanderschaft geht. Christian Morgensterns Gedicht „Dunkel war“s, der Mond schien helle“ setzte sich im vergangenen Jahr schließlich in ihrem Kopf fest. Sie begann in einer Residence in der fabrik über die Paradoxie nachzudenken: vielmehr, sie sich lustvoll zu erspielen. Denn die Zeit, dass sie ihre Arbeit vor allem über den Kopf steuert, ist vorbei. Es war ein langer Prozess, den die gebürtige Norddeutsche zurücklegte, bis sie in ihrem „Büro für Zeit und Raum“ in Berlin ankam. „Das Büro bin ich“, betont sie, denn sie ist die einzige Konstante in ihren Projekten mit stets wechselnder Besetzung.
Für „Hares on Skates“, ihrer Paradoxie-Inszenierung, die sie heute bei der Langen Nacht der Experimente von Unidram zur Vorpremiere bringt, scharte sie sieben Darsteller um sich, die nun auf ganz eigene Weise scheinbar feste Konstruktionen aufweichen. Wie beim „Stille Post“-Spiel gibt jeder seinen Impuls an den anderen weiter, so dass Anne Hirth am Ende die Botschaften „nur“ noch einsammeln und in Form bringen muss.
Lange habe sie geschwankt zwischen Regie und Schauspiel. „Ich dachte immer, Regie kann man auch mit 50 noch machen.“ Jetzt ist sie 34 und froh, nicht selbst auf der Bühne zu stehen. Nachdem sie ein Großteil ihrer Kindheit auf den Wiesen Bayerns herumlief, öffnete sich für sie in Bremen, dem Ort ihrer Jugend, die Theaterwelt. Sie übernahm in der Schul-Arbeitsgemeinschaft verschiedene Rollen, teilte aber irgendwann mit der Lehrerin den Regiestuhl. „Es machte mir Spaß, Leute anzuleiten“, was für sie als Klassensprecherin wohl nicht überraschend kam.
Mit 19 zog es sie nach Berlin und in die Theaterwissenschaft. Allerdings lief das Studium eher nebenher, Anne Hirth bevorzugte die dunklen Räume der Theater, in denen es vor Spannung knisterte und wo sie als Hospitantin das Zusammenspiel der Körper beobachten konnte.
Schließlich klappte es mit einem praktischen Studium: In einem bergigen Dörflein am Lago Maggiore in der italienischen Schweiz studierte sie Bewegungstheater. „Wir hatten viel Improvisation und ich lernte, wie man aufeinander reagieren kann, ohne gleich Text und Situationen zu spielen.“ Dennoch hatte sie noch immer ihren Shakespeare im Schrank und „Theater heute“ im Abo. Denn ihr Ziel war nach wie vor das Sprechtheater. Für ihre Diplominszenierung schrieb sie schließlich ein Stück über die Bildhauerin Camille Claudel. Auf ihrem Schreibtisch lagen viele Bücher und Bilder, aus denen sie etwas Eigenes formte. „Ich bin jemand, der nicht nur aus sich selbst schöpfen kann, ich brauche viel Input.“ An einer Bildhauerschule ein paar Dörfer weiter lernte sie Skulpturen bauen, die sie für ihr Bühnenbild verwandte. Sie wollte sich nichts Fertiges hinstellen lassen. Frisch diplomiert sah sie nun klar die Perspektive vor sich: Regisseurin wollte sie werden. Mit dem ganzen „Unterbau“. Während ihre Bewerbungen für ein Regiestudium liefen, ging sie sie an die Berliner Schaubühne. „Sasha Waltz suchte gerade einen Assistenten, entschied sich aber gegen mich.“ Der Tänzer und Choreograf Luc Dunberry sah indes in ihr die Richtige. Es faszinierte sie: die vielen Sprachen, das Arbeiten in Bildern, der Rhythmus der Körper, die Geräusche. „Man verstrickt sich beim Tanz nicht in die Psychologie der Figuren, sondern schaut auf die Wirkung des Zusammenspiels. Ich sehe was, ich höre was, und die Fantasie geht los.“ Tanz fühlte sich genau richtig für sie an. Doch dann ging es an die Ernst Busch-Hochschule. Und sie hatte bald das Gefühl, sie will woanders hin. „In einem fertigen Stück steht ja schon alles drin, muss man als Regisseur nur dramaturgisch sehr klug sein. Ich kam da gar nicht mehr zwischen, meine Fantasie funktionierte nicht. Es hatte auch etwas mit Unsicherheit zu tun, man wusste, die Dozenten kennen die Stücke ohnehin viel besser.“
Später hat sie dann doch bei Sasha Waltz assistiert, aber nicht viel mitbekommen von ihren Gedankengängen. Erst durch zwei Workshops kam sie sich wirklich auf die Spur. „Ich merkte, dass Theater viel mit Lust und Freude zu tun hat. Das hatte ich auf der Theaterschule ziemlich verlernt.“
Nach einer langen Suche fand sie endlich zu ihrer eigenen Arbeitsweise und bekam 2005 für ihr erstes Stück „wait here for further instructions“ den 1. Preis beim 100°Berlin Festival für freies Theater. Seitdem folgten Einladungen zu Festivals im In- und Ausland und in diesem Jahr eine erneute Residence in der Potsdamer fabrik. Das ermöglichte Proben, Sortieren, Weiterdenken: über Unsinn und Paradoxie, auch über „Dunkel war“s, der Mond schien helle“. Wie aber kann man etwas auf die Bühne bringen, was eigentlich nicht geht? Anne Hirth ist keine Hellseherin, will aber die Fantasie erhellen. Und vertraut dabei auf ihre Leute, die selbst ganz viel erfinden. Am Ende sitzt sie wie ein Magierin am Schreibtisch und zieht die Fäden zusammen. In dem ihr gemäßen Tempo.
Vorpremiere heute 20 Uhr, fabrik, 30 Minuten vorher gibt es eine Installation von Alexandra Süßmilch. Karten für die Lange Nacht der Experimente erhältlich.
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