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Kultur: Und sie hielt

Die achtsaitige Gambe im Havelschlösschen

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Möglich wäre es schon, dass es an unpassender Stelle „pling“ macht, meinte der Potsdamer Instrumentenbauer Tilman Muthesius beim ersten Auftritt der von ihm gebauten Gambe mit acht Saiten. Denn eigentlich sei die neu hinzugekommene oberste Saite so stark gespannt, dass sie kurz vor dem Reißen stünde. Den entscheidenden Tipp über das rätselhafte, in Paris aufbewahrte Instrument hatte Muthesius von der Gambistin Heidi Gröger erhalten. Für die „Welt-Premiere“ im Klein Glienicker Kammermusiksaal am Donnerstag hatte sie einige jener Stücke ausgewählt, bei denen vor 250 Jahren das Instrument mit der zusätzlichen hohen g-Saite wohl zum Einsatz gekommen ist.

In den „Pièces de clavecin en concert“ von Jean-Philippe Rameau muss die Gambe öfter in höchste Lagen klettern, was mit den heute gebräuchlichen Instrumenten bei bestimmten Stellen nur durch Schummeln erreicht werden kann. Dieses Problem hat Tilman Muthesius nun mit dem Nachbau der goldenen Gambe gelöst. Scheinbar unbeschadet hat sie den Zeitsprung aus dem Paris von Louis XV. an die Potsdamer Havelaue überstanden. Aber die Frage nach der „richtigen“ Spielweise ist gleichzeitig Krux und Reiz bei der alten Musik. Gern würde der heutige Musiker den Komponisten darüber befragen. Allein, selbst iPhone oder Facebook reichen so weit nicht, wie Cembalist Patrick Ayrton im schönen Kammermusiksaal des Havelschlösschens bedauerte.

Nicht die Gambe, sondern das Cembalo steht in Rameaus kleinen Charakterstücken im Vordergrund. Geige und Gambe geben nur die Begleitung bei diesen raffinierten Werken ab, die auch gut als Cembalosolo gespielt werden können. Entstanden sind die „Pièces de clavecin“ nicht nur zur privaten Unterhaltung, sondern auch, um die spezifisch französische Art der Komposition zu demonstrieren. Nicht zuletzt dank ihrer Virtuosität und ihres Witzes haben diese Stücke die Zeit besser überstanden als die ernsten Opern, die Rameau für den französischen Hof komponierte. Freunde und Förderer, wie der Steuereinnehmer La Pouplinière, finden sich in den Titeln wieder, wie auch die Eigenschaften bestimmter Personen wie etwa Schüchternheit oder Indiskretion sowie kurze Tänze. Jedes von ihnen verströmt das künstlerische Ambiente des Ancien Régime, setzt Schäferei und Maskenspiel, Ornament, Zierrat und Manier, Versteckspiel und Überraschung in Szene. Diese äußerst prägnanten Kompositionen werden von dem britischen Cembalisten Patrick Ayrton in das lebendige, fein nuancierte Gewebe seiner glitzernden Cembaloklänge gekleidet. An der Violine mit Darm-Saiten setzt Lisa Marie Landgraf klare Akzente, während Heidi Gröger virtuos die Gambe spielt.

Weil aber das Instrument bei diesem Konzert im Mittelpunkt steht, gibt es noch ein paar Solostücke von Charles Dollé. Der begnadete Gambist und Zeitgenosse von Rameau hinterließ eine Reihe von Werken, bei denen das gesamte Register der Gambe in voller Klangschönheit erklingen kann. Noch dazu sind diese Stücke so raffiniert mehrstimmig, dass man meint, nicht eine, sondern mindestens zwei Instrumente zu hören. In „Le tendre engagement“ spielt Heidi Gröger mit allen Mitteln ihrer Kunst und malt Bilder einer galanten Schäferei mit hellen und dunklen Tönen, schraffiert auch gern im sfumato reicher Akkorde. Als musikalisches Kleinod entpuppt sich auch Dollés „Tombeau“, eine hinreißende Solo-Meditation auf den Tod des Gambisten Marin Marais. Glücklicherweise hält die achte Saite bis zum Schluss ohne ein ungewolltes „pling“. Viel Beifall rauscht im vollbesetzten Havelschlösschen nach diesem besonderen Konzert auf. Babette Kaiserkern

Babette Kaiserkern

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