
© Manfred Thomas
Kultur: Und zum Schluss tanzen alle Polka
Der Musikerzirkus von Gabby Young & Other Animals begeisterte im Nikolaisaal
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Wie eine Katze bewegt sich die 24-jährige Gabby Young am Samstagabend über die Bühne des Nikolaisaals. Das feuerrote Haar hat sie zu zwei Schnecken gedreht, das schwarze, mit roten Schleifen geschmückte Trägerkleid schwingt ihr um die Beine und barfuß schlängelt sie sich um ihre Bandkollegen, die mit ihr als Frontfrau die Formation Gabby Young & Other Animals bilden.
Auf den Ankündigungsplakaten wirkt sie wie eine herausfordernde Zirkusdompteurin, auf der Bühne jedoch beweist sie, dass nicht eine starke Hand nötig ist, um ihren Musikerzirkus oder das Publikum in den Griff zu bekommen, sondern einfach die pure Lust an der Musik, die nichts anderes als ansteckend sein kann. Noch nicht einmal eine halbe Stunde steht die Band auf der Bühne und das Publikum liegt der Londoner Musikerin bereits zu Füßen. Von Anfang an lässt es sich bereitwillig zum Mitmachen animieren, ohne dass es einer besonderen Aufforderung bedarf. Ein überraschter Fan wird auf die Bühne gezerrt und integriert sich ganz unbefangen und mit erstaunlichem Talent in die Gruppe, die ihn mit offenen Armen aufnimmt.
Gabby Young & Other Animals haben eine große Bandbreite musikalischer Vorlieben. Es gibt Jazz und Circus Swing, eine Vielzahl an Instrumenten, leise Töne und kraftvolle Mehrstimmigkeit. Es gibt den Gitarristen Stephen Ellis, der nicht nur für die Band textet, sondern auch mit allergrößtem Enthusiasmus singt oder mit seinem Instrument um den Hals kreuz und quer über die Bühne springt. Und es gibt den Trompeter Richard Watts, der klein ist, aber oho, und der seinem Instrument mit jungenhaftem Schabernack fantastisch schiefe Töne entlockt. Der Kontrabassist Oliver Hopkins bleibt gelassen, der Posaunist Jonathan Roskilly übt sich in Zurückhaltung und die barfüßige Geigerin Emily McGregor besticht mit ihrer verträumten Entrücktheit. Lediglich der Schlagzeuger Niall Woods, hinter eine Plexiglaswand verbannt, erinnert mit seiner schwarz-weiß gescheckten Fellmütze entfernt an ein Tier und schafft damit die sichtbare Verbindung zu dem eigenwilligen Bandnamen.
Eigentlich hatte Gabby Young, die schon früh Geige, Klavier und Saxophon spielte, bereits den Weg einer Opernsängerin eingeschlagen. Doch dann entdeckte sie die Jazzgröße Jeff Buckley für sich und entschied sich für eine Musikerlaufbahn innerhalb der Londoner Musikszene. Die Diagnose Kehlkopfkrebs, die man ihr mit Anfang 20 stellte, schien das Aus für die begabte Musikerin, doch der positive Verlauf der Krankheit gab der jungen Künstlerin neuen Auftrieb. 2008 gründete sie ihre Band, das erste Album „We’re all in this together“ finanzierten die Fans, die je nach Höhe der Spende zu Maulwurf, Bär oder Tiger erhoben wurden.
Die lustvolle Instrumentierung, die neben Gitarre, Trompete oder Geige auch Banjo, Akkordeon oder Klarinette umfasst, passt gut zu der extravaganten Künstlerin mit der facettenreichen Stimme, die Gläser zerspringen lassen könnte, und die sogar modisch bereits als stilbildend gilt. Ihre Band ist nicht so morbide wie „The Tiger Lillies" und wesentlich theatralischer als „17 Hippies“. Ihr zweites Album „The band called out for more“ wurde mit Spannung erwartet und entspricht den Erwartungen. Auch das Potsdamer Publikum ist begeistert von dessen Vielschichtigkeit. Die Sängerin berührt mit „Honey“, wenn sie ganz allein auf der Bühne steht, die Gitarre umgehangen und die Stimme pur und kräftig, ein wenig dunkel und sehr voll. Langsam schlendern ihre Kollegen aus dem Off, unterstützen Gabby Young a capella und wirken gar nicht mehr wie der verspielte Zirkus, der noch im ersten Teil des Konzerts während eines Songs gemeinsam hinter das Schlagzeug rennt und ungehemmt darauf herumhaut.
Wer sich selbst so hingibt, darf Hingabe erwarten und so steht fast jeder im Saal auf, reckt die Faust und gibt sein „Oho“ für „Horatio“. Später wetteifert die linke und die rechte Seite des Publikums unter der Leitung der Dompteure Stephen Ellis und Richard Watts um das stimmgewaltigste „Ha“ und „Ho“ des Abends und in „Maybe“ knien die Musiker vor den Fans und erwarten deren Geschwindigkeitsvorgaben für ihr Spiel. Stephen Ellis hatte vorher darauf hingewiesen, dass je schneller das Publikum klatsche, desto schneller gespielt werde. So ein Abend kann nur mit großem Finale enden und so tanzen Band und Publikum zum Schluss gemeinsam Polka. Wäre der Nikolaisaal ein Zirkuszelt, hätte Staub in der Luft gehangen und Bühnenbretter wären gebrochen.
Andrea Schneider
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