Kultur: Ungewöhnliche Essenz
Der spanische Autor Jorge Semprún erhielt die Ehrendoktorwürde der Universität Potsdam
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Das Leben besteht für Jorge Semprún aus Widersprüchen. Auch an diesem heißen Freitag im Mai, an dem der spanische Schrifsteller die Ehrendoktorwürde der Philosophischen Fakultät der Universität Potsdam erhält. Er spricht Deutsch. Die Sprache, die er von seinen Kindermädchen erlernte. Die Sprache, die er in Buchenwald sprechen musste, um sein Leben aus den Händen der SS zu retten. Die Sprache der Mörder, die für Semprún gleichzeitig aber auch die Sprache von Marx, Goethe und Heine ist. „Es ist schon eine besondere Beziehung, die ich zu dieser Sprache habe“, sagt der heute 83-jährige Autor mit dem schneeweißen Haar.
Eine ebenso besondere, ja paradoxe Beziehung, wie er sie zum KZ Buchenwald hat, in dem er als Kämpfer der französischen Resistance 1943 interniert wurde. Erst nach 50 Jahren war Semprun 1992 hierher zurückgekehrt. Doch er habe nicht so lange gebraucht, um das Trauma des KZs zu überwinden, sondern um mit seiner eigenen Biographie ins Reine zu kommen. Denn Buchenwald war nach 1945 von den Sowjets als Lager weitergeführt worden, bis es Gedenkstätte wurde. „Es war diese widersprüchliche Geschichte, die mich von dem Ort fernhielt“, sagt der Autor. War er doch selbst lange Jahre Kommunist, und musste sich eingestehen, dass der Stalinismus in ähnlich bösartigen Kategorien arbeitete wie der Faschismus, den er doch jahrelang bekämpft hatte.
Die Erkenntnis, dass man den Gegner nicht mit seinen eigenen Mitteln bekämpfen sollte, dass die Menschlichkeit an erster Stelle stehen müsse, zieht sich durch Semprúns Lebenswerk. So findet sich in seinem Buch „Die große Reise“, in dem er seine Deportation nach Buchenwald verarbeitet hat, eine Episode, die diese philosophische Prämisse widerspiegelt. Zwei junge Widerstandskämpfer geraten in die Situation, einen verwundeten SS-Mann erschießen zu müssen. Doch Semprún sagt ihnen als Vorgesetzter, dass sie ihn zum Verbinden abführen sollen. „Sie sind nicht freiwillig mit 17 Jahren in den Krieg gezogen, um verwundete Gefangene zu erschießen. Sie haben diesen Krieg gegen den Faschismus geführt, damit keine verwundeten Gefangene mehr erschossen werden“, schreibt der Autor .
Die Universität Potsdam würdigte Jorge Semprún gestern mit dem Ehrendoktor als herausragenden Philosophen und Literaten. Sein Werk gründe auf Erfahrungen, die er im Widerstand gegen Diktatur, Rassismus und jede Form totalitären Denkens gesammelt habe, sagte der Dekan der Philosophischen Fakultät, Bernhard R. Kroener. Der Romanist Prof. Ottmar Ette nannte Semprun eine der ganz großen Stimmen Europas, in der Philosophie wie in der Literatur. Diese beiden Pole seien bei Semprún keine Gegensätze, er habe sie vielmehr zu einem „Wissen des Lebens“ zusammengeführt.
Ein Leben, das der heute in Paris lebende Spanier selbst als zufällig bezeichnet. „Das hat die Zeit mit sich gebracht.“ Doch die Wege darin, beschritt er seinem Gewissen folgend. So sagt er von der Deportation nach Buchenwald – zusammen mit hunderten Häftlingen in Viehwaggons gequetscht, fünf Tage im Stehen ohne Essen –, dass er diese „Reise“ freiwillig begangen habe. Freiwillig, weil er sich zuvor entschieden hatte, Widerstand zu leisten.
Semprún, 1923 in Madrid geboren, flüchtete mit 14 Jahren zu Beginn des spanischen Bürgerkrieges vor dem Franco-Regime nach Frankreich. Dort studierte er Philosophie an der Sorbonne und schloss sich 1941 der Résistance an. Nach einem Anschlag auf einen Munitionszug wurde er verhaftet, gefoltert und ins KZ Buchenwald verschleppt. Die Zeit im Widerstand, die Deportation und die KZ-Haft arbeitete er in zahlreichen Romanen literarisch, wie auch philosophisch auf.
Zwischen 1957 und 1962 arbeitete Semprun im Untergrund der Kommunistischen Partei im faschistischen Spanien. 1964 wurde er wegen Abweichung von der Parteilinie aus der Kommunistischen Partei ausgeschlossen. Seitdem ist er als Schriftsteller tätig. Von 1988 bis 1991 dann war Semprún spanischer Kulturminister. „Eine persönliche, historische Revanche“, wie er heute sagt. Vom Widerstandskämpfer gelangte ins Zentrum der spanischen Staatsmacht. Als er damals auf einen Polizisten stieß, der ihn jahrelang verfolgt hatte, ließ er ihn ziehen. „Das muss eine Demokratie aushalten“, sagt er.
Den Bruch mit der Kommunistischen Partei habe er zu spät vollzogen, stellt Semprún rückblickend fest. Ein Bruch mit der Ideologie, was aber bis heute für ihn die philosophische Seite von Marx unangetastet lässt. „Auch wenn seine geistigen Ideen nach den Erfahrungen des Totalitarismus nicht mehr umsetzbar sind, bleibt seine Analyse aktueller denn ja“, betont der Schriftsteller.
Jorge Semprún ist trotz oder vielleicht gerade auch wegen aller Widersprüche in seinem Leben kein gebrochener Mann. Er hat Humor und vor allem scheint er auch ein unerschütterlichen Optimist zu sein. „Man kann jeden Tag etwas finden, das es wert ist, dafür zu kämpfen“, sagt er. So wie er auch seiner Zeit im KZ etwas Gutes abgewinnen konnte, war die Haft für ihn doch ein Teil seines Kampfes gegen die Unmenschlichkeit. „Für die religiösen wie auch für uns politischen Häftlinge, ließ sich das Lager besser ertragen, die einen hatten ihren Glauben und wir hatten unsere Ziele.“
Und so ist die Beziehung, die der Autor heute zum ehemaligen KZ Buchenwald hat mindestens so außergewöhnlich, wie die zu der deutschen Sprache. Als er vor einigen Jahren nach Buchenwald kam, empfand er plötzlich ein Gefühl von Heimat. Hatte er doch in jungen Jahren hier für das Gute im Menschen gekämpft. „Die Jahre dort machen vermutlich die Essenz meines Lebens aus“, sagt er.
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