Von Lore Bardens: Unter dem Einfluss der Zeitenläufe
Roland Paris im Haus der Brandenburg-Preußischen Geschichte / Retrospektive zum 75. Geburtstag
Stand:
Wolfgang Heise schaut aus schwarzen Augen skeptisch am Betrachter vorbei. Sein Kopf ist sehr schmal, die kurzen schwarzen Haare stehen ab, der Mann wirkt klein und in sich zusammengesunken. Mit der Linken stützt er sein Kinn. Über ihm ist noch eine ganze Menge Platz, der Philosoph wirkt zurückgenommen, einsam, grübelnd. Dieses Porträt von Roland Paris ist eine der Perlen der Ausstellung „Lob des Realismus“ und hängt ein bisschen versteckt, oder sagen wir geschützt, in einer Ecke des großen Raumes im Dachgeschoss des Hauses der Brandenburg-Preußischen Geschichte.
Am Donnerstagabend wurde in Anwesenheit von Roland Paris die Schau über sein Lebenswerk zu Ehren des 75. Geburtstages des Künstlers eröffnet. Auf zwei Etagen hängen mehr als siebzig Bilder des in der DDR anerkannten Malers, der in Weißensee Wandmalerei studierte. Das Heise-Porträt malte Paris 1967 und es wurde von der Kritik zwiespältig aufgenommen: „Es fällt schwer, in dem Dargestellten einen sozialistischen Wissenschaftler zu erkennen“, lautete der Vorwurf, den man dem Bild machte, und in der Tat unterscheidet sich dieses Porträt und seine Aussage sehr von seinem Wandbild „Lob des Kommunismus“, das Paris 1969/70 für das Amt für Statistik fertigte, oder aber auch vom Triptychon „Dorffestspiele in Wartenburg“, das er 1961 zu Ehren der Bauern aus dem Arbeiter- und Bauernstaat DDR fertigte. Aber auch bei diesen, im Nachhinein scheinbar im Einklang mit der realsozialistischen Doktrin und dem Bitterfelder Weg realisierten Werke wurde Paris eine Kritik zuteil, die heutzutage unverständlich anmutet. Das „Lob des Kommunismus“ zeige einen barfüßigen Arbeiter, und die Arbeiter der DDR können sich doch Schuhe und Strümpfe leisten, lautete sinngemäß eine, von Kunstkenntnis unberührte Rüge; die „Dorffestspiele“ versäumen nicht die Großfeldwirtschaft der LPG und geriet somit auch unter Beschuss. Jetzt aber hängt das große Bauerngemälde, das lange hinter einem Schrank des Agrarhistorischen Museums in Alt-Scherin schmorte, in Potsdam. Das „Lob des Kommunismus“ ist nur als Foto im 25-seitigen Begleitkatalog zur Ausstellung und in der Filmdokumentation im Obergeschoss zu sehen. In fast religiöser Tradition lässt Paris da den Kommunismus im rechten Bild als heiteres Zusammenspiel zeichnender, tanzender, redend gestikulierender und lesender, allesamt glücklicher Menschen erstehen. Dank der links dargestellten Arbeiterzusammenkünfte, die durch Revolutionäre von 1917/18 die Völlerei der Bourgeoisie überwinden, kann es zu dieser sozialistischen Heilsform kommen. Paris hat nach dem gleichnamigen Brechtschen Gedicht seiner Vorstellung der Gesellschaftsveränderungen Ausdruck gegeben, und heutzutage wirkt das wie hundertprozentiger sozialistischer Realismus. Immerhin brachte es ihm ja auch den Nationalpreis der DDR II. Klasse ein. „Es gab Zeiten, da glaubte man, Kunst soll den Menschen bessern. Das hat er heute wieder nötig“, sagte der in Sondershausen 1933 geborene Paris in einem Interview, aber auch: „Wir sind nicht mehr die größte DDR der Welt – das relativiert.“ Und sein Werk relativiert sich in der interessanten Zusammenschau, die auch aktuelle Arbeiten von Paris zeigt.
Mit „Küste am Mittelmeer“ (1992) hängt da eine von mehreren nach der Wende gefertigten Gouachen, die ins Abstrakte gehen und mit dunkelblauer und lila Farbigkeit spielen, interessant auch „Die Fischer von Odajam“ (2002): Das sind neue Wege, die Paris da betritt, und sie sind ebenso spannend wie seine Interpretationen alter Mythen, wie beim „Der Tod und das Mädchen“ von 1977 und das „Prometheus-Triptychon“ von 2001.
So oszilliert dieses Werk, in dem die Porträts auch von Ernst Busch, Hanns Eisler und Heiner Müller einen hervorragenden Platz einnehmen, zwischen dem Versuch ehemaliger politischer Korrektheit, die ihm nicht immer gedankt wurde, und der erfolgreichen Interpretation von Wirklichkeit und Leben unter dem Einfluss der Zeitläufte.
Lore Bardens
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: