
© Andreas Klaer
Kultur: Unter der Dornenkrone der Macht
Das 18. Kunstfestival Rohkunstbau wird am Sonntag im Schloss Marquardt eröffnet
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Während das Schloss augenscheinlich in seinen letzten Atemzügen liegt, dröhnt es kraftstrotzend im Vestibül. Ein unerbittliches Röhren und Krachen durchdringt die Zimmer. Dieses verstörende Geräusch entsteigt einem silberfarbigen Metallgiganten, der wie ein geducktes Tier zum Sprung ansetzt. Das pferdestarke Vehikel ist nichts anderes als der herausgelöste Motor eines Bugatti: dem Auto, das wie kein anderes für Reichtum, Geschwindigkeit und Macht steht. Macht ist auch das große Thema der diesjährigen Rohkunstbau-Ausstellung, die ab kommenden Sonntag im Schloss Marquardt zu sehen ist. Zehn bildende Künstler aus vier Nationen interpretieren sie auf ganz eigene Weise, mit all ihren Verlockungen und Schwächen, mit ihrem Glanz und düsteren Verwerfungen. Die „Macht“-Schau ist Auftakt zu einem Vierjahreszyklus, der sich an den „Ring der Nibelungen“ von Richard Wagner anlehnt: mit seinem Konfliktstoff von verschmähter Liebe und dem Streben nach Gold.
Frei assoziierend schmiedet jeder Künstler seinen ganz eigenen Ring, die Patina der Schlosszimmer inhalierend und sinnkräftig durcheinanderwirbelnd. Der Bugatti-Motor der bulgarischen Künstlerin Mariana Vassileva spricht von der Macht, Energie zu erzeugen. Doch über der Kraftmaschine hängt eine Dornenkrone, Sinnbild für den Untergang. Je nach Lautstärke des Motors verändert sie ihr golden floureszierendes Licht und zeigt die Gefahr des Verlustes, wenn Leben nur noch in rasanter Geschwindigkeit vorbeizieht.
Von der Macht des Konsums erzählt auch die Säule von Frank Nitsche in der verglasten Veranda nebenan. Seine an den Stab Wotans erinnernde Skulptur fußt auf Getränkedosen und ist mit allerlei Aufklebern verziert. „Wer hat den Mut, sich für euch zu schämen“ oder „Just buy it“ ist zwischen Mickey Mouse-Bildern zu lesen. Das Aussortierte türmt er auf, um den geschürten Konsumwahn ins Bild zu setzen. Quer durch den von Karin Sander in eine virtuelle Welt verwandelten Gartensalon wird der Blick auf einen zweiten „Stab“ Wotans frei: Er durchbohrt eine glänzende Wand, in der sich Raum und Mensch spiegeln. Katinka Pilscheurs „Gemälde“ ist mit schwarzem Autolack der Marke Mercedes gemalt: in makelloser Reinheit. Doch das riesige Kupferrohr fährt diagonal durch diese glatte heile Haut hindurch: verletzt sie und gibt dem Bild doch gleichzeitig Halt.
Auch die obere Etage ist wie ein Gang durch labyrinthische Verstrickungen, hinter jeder Tür eine neue Offenbarung, die den abblätternden Putz und Rissen in den Wänden in ein ganz anderes, konterkarierendes Licht setzt. An ein Gemälde des Romantikers Caspar David Friedrich fühlt man sich vor Christoph Brechs „Il Ponte“ erinnert. Für diese Videoarbeit filmte der Künstler drei Wochen am Fluss Arno in Florenz mit dem Ponte Vecchio im Rücken. Er versuchte haargenau die Augenblicke einzufangen, in denen das Zwielicht die Dinge magisch verändern. Wie hinter einem Schleier bewegen sich Menschen scherenschnittartig über die Brücke, erst im rosa-roten Morgenlicht, schließlich in einer immer düster werdenden fast apokalyptischen Abenddämmerung. Zu dieser Poesie des Alltags sind die düsteren Klänge aus Mahlers 5. Sinfonie zu hören, die Brech umschrieb und zu einer aufwühlenden suggestiven Bild-Musik-Harmonie verdichtete.
Das Wasser spielt auch bei Simon Faithfull eine tragende Rolle. Der britische Künstler fuhr für seine Videoarbeit „Going Nowhere 2“ bis an die Küste Kroatien, um in bleischweren Stiefeln auf dem Grunde des Meeres zu spazieren. Er kämpfte gegen die Kraft der Wassermassen, so wie einst der Zwerg Alberich auf dem Weg zu den Rheintöchtern und ihrem Macht verleihenden Gold. „Das Licht lösch ich euch aus, entreiße dem Riff das Gold, schmiede den rächenden Ring; denn hör‘ es die Fluth: so verfluch ich die Liebe!“, sagt der auf die Liebe verzichtende Alberich im „Rheingold“. Doch ein Ring führt nirgends anders hin als immer weiter im Kreise. Und so stapft auch dieser Mann im aufgeblähten weißen Hemd am Meeresboden wie ein verlorenes Kind blindlings gegen den Strom immer wieder um die eigene Achse. Begleitet wird er von der „Musik“ direkt aus dem Wasser des Schlänitzsees, zu dessen Ufer am Fuße des Schlosses Marquardt der Künstler eine direkte Tonverkabelung legte. Es war dem Kurator Mark Gisbourne und dem Rohkunstbau-Direktor Arvid Boellert wichtig, dass die Künstler alle für den Ort arbeiteten und das „Rheingold“ ins Schloss Marquardt rüberschwappen ließen. Judy Millars Malerei „The Hierarchy Problem“ scheint dabei den Raum regelrecht zu sprengen. Wie eine Flutwelle kommt die großformatige rot-schwarze Farbschleife der Neuseeländerin auf den Betrachter zu, droht ihn zu überrollen. Die Macht der Natur lässt den Menschen plötzlich ganz klein erscheinen und verschluckt auch das Dröhnen des Bugatti-Motors.
Bleibt zu hoffen, dass sich das ambitionierte Projekt Rohkunstbau nicht unterkriegen lässt, das in seinem nunmehr 18. Jahr mit der Hälfte des Etats auskommen musste. „Wir brauchen wieder die vollen 200 000 Euro“, so Arvid Boellert beim Presserundgang am gestrigen Dienstag. Doch da der Bund nicht förderte und große Stiftungen nicht sponserten, musste das Personal diesmal teils auf sein Gehalt verzichten und selbst zum Sponsor werden. Das Land Brandenburg gab indes auch in diesem Jahr seine 60 000 Euro dazu, sich der regionalen Verankerung dieses internationalen Aushängeschilds offenbar bewusst. Gern würde der Rohkunstbau-Verein künftig Eigentümer des Schlosses werden, doch dazu ist eben Unterstützung nötig: für Investitionen in das marode Bauwerk ebenso wie in in die zeitgenössische Kunst, die in Marquardt eine perfekte Liaison eingehen. Noch lässt sich der „Ring“ schmieden.
Doch sollte sich die Politik ihrer Macht um die Verantwortung für die Bildende Kunst nicht bewusst sein, wird es 2012 keinen Rohkunstbau-Sommer mehr geben. Vom „Ring der Nibelungen“ würde nicht mehr als das „Das Rheingold“ glänzen, der Vorabend zu Walküre, Siegfried und Götterdämmerung, die doch allesamt im Schloss Marquardt eine prächtige bröckelnde Bühne finden sollten.
Vernissage 26.Juni um 16 Uhr; geöffnet ab 1. Juli, freitags 14 bis 19 Uhr, samstags und sonntags 12 bis 19 Uhr, Eintritt 7, ermäßigt 5 Euro, unter 16 Jahren freier Eintritt
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