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Mit dem Badreiniger gegen Wahnvorstellungen. Frau und Mann im Stück „Bin nebenan“ können sich einfach nicht entspannen und genießen, was sich ihnen bietet. Karen Schneeweiß-Voigt (Foto) will nicht mal mehr in die Badewanne.

© Stefan Gloede

Kultur: Unter der Schmuckfolie

„Bin nebenan“, ein Stück über das Fremdbestimmtsein, hat Premiere auf dem Theaterschiff

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„Wenn ich das Rote-Rosen-Sofa kaufe, werd ich krank, das weiß ich. Das ist ein Monster, eine infantile prollige Gemütlichkeitsfantasie, das ist ein Möbelporno.“ Ein Mann, ein vermutlich schwedisches Möbelhaus – und viel Frust. Was zunächst nach bodenständiger Comedy klingt, ist jedoch ein Stück mit sehr ernsthaftem Anliegen. „Bin nebenan“ von der Berliner Autorin Ingrid Lausund heißt die neue Inszenierung auf dem Theaterschiff, die erste nach dem Umzug an den neuen Liegeplatz in der Schiffbauergasse und die am morgigen Freitag Premiere hat.

„Das ist kein Schenkelklopfer. Das Stück zu lesen hat mich umgehauen, es hat mir richtig wehgetan“, sagt die Regisseurin Annett Scholwin. „Ich hab mich gefragt: Warum machen die beiden es sich so schwer, wenn alles doch so schön sein könnte?“

Aus den insgesamt 12 „Monologen für Zuhause“, so der Untertitel des Stücks, hat sich Annett Scholwin vier für die Inszenierung ausgesucht. „Man muss ja immer schauen, was man umsetzen kann unter unseren Bedingungen“, sagt sie. „Sofa“, „Badezimmer“, „Fernseher“ und „Grundstück“ hat sie zu einem Stück montiert. Zwei Schauspieler aus dem Schiffs-Ensemble – Karen Schneeweiß-Voigt und Stefan Reschke – arbeiten sich an den schmerzhaften, tragikomischen Monologen der Figuren ab, zunächst jeder für sich. Nur einmal, sagt die Regisseurin, kommt es zu einer Situation, in der eine echte zwischenmenschliche Begegnung möglich wäre. „Aber sie schaffen es einfach nicht“, sagt sie, „sie schaffen es nicht, sie selbst zu sein. Doch man muss schon zunächst mit sich selbst klarkommen, dann kommt man auch in einer Beziehung zurecht.“

Nichts Neues an sich, sagt Annett Scholwin, diese Erkenntnis sei schon in der Antike zu Stücken verarbeitet worden. Ingrid Lausund beschreibe das aus heutiger Sicht und verleihe der ganzen Dramatik, dem Ringen der Figuren, sich von der Fremdbestimmtheit zu lösen, eine wunderbare Leichtigkeit.

Fremdbestimmt fühlt sich der Mann im ersten Teil „Sofa“. Er möchte eins kaufen, aber in dem Möbelhaus fühlt er sich einfach nur unwohl und deplatziert: „Dieses Wegeleitsystem. Immer schön auf der Markierung laufen. Ich schau mich um, alle laufen auf dem Weg. Und ich als Allererster. Da hass ich mich dann auch schon.“ Beim Selbstgespräch in der Wohnung lässt er alles raus, was sich zwischen Küchenzeilen und dem Zielgruppensofa, auf das er unweigerlich zusteuert, angestaut hat. Immer verfolgt von zwei Marktforschern, die er am Ende zur Schnecke macht. „Er ist wütend, kriegt es aber nicht hin, einfach den Laden zu verlassen“, sagt Annett Scholwin. Und kauft schließlich auch noch das Sofa, das er gar nicht haben wollte.

Die Frau im „Badezimmer“ hat ein ganz anderes Problem. Sie trägt gerade eine Schmuck-Klebefolie auf, richtet ihr Bad neu ein – ist aber unfähig, sich darüber zu freuen. Plötzlich bekommt sie ein schlechtes Gewissen, in 180 Litern Wasser zu baden, während in Afrika Wassermangel herrscht. Und die Deko im Ethno-Design, die sie eben noch schick fand, macht ihr Angst. „Sie bekommt richtige Wahnvorstellungen, bis hin zur Thematik der kenternden Flüchtlingsboote“, sagt Annett Scholwin. „Die Afrikaner dringen in ihr Bad ein!“

Diese innere Heimatlosigkeit der Figuren, die sich einfach den äußeren Reizen ergeben, macht sie fertig. Passend dazu spielt im Monolog „Fernseher“ der Mann einen Typen, der, allein zu Hause, Pornofilme guckt und die Sau rauslässt, bei Rückkehr der Frau aber wieder den sanften Ehemann spielt – ein armseliger Heuchler, findet Annett Scholwin.

„Bin nebenan“, dieses Stück über Menschen, die sich in ihrem Leben einzurichten versuchen, ist die dritte Inszenierung, an der die Potsdamerin beteiligt ist. Franz Werner Rautenstock gestaltet Bühne und Kostüme, die Musik kommt von Farid Farjad. Ganz sparsam verwendet die Regisseurin dieses Mittel, ausschließlich für die Szene, in der sich Mann und Frau etwas annähern. Mit Musik im Theater Stimmungen, beispielsweise Sinnlichkeit, zu vermitteln, davon hält sie nicht viel. „Stimmungen müssen durch das Agieren der Schauspieler ausgelöst werden, nicht mit der Krücke einer Musikeinlage vom Mischpult.“ Und so ist es ein „alter Schrammelrekorder“, den der Mann in dieser Szene aus dem Schrank holt und anstellt.

Mehr oder weniger erfolgreich manövrieren sich die beiden namenlosen Charaktere durch ihr Leben, und sind dabei gefangen in Mustern, sind fremdbestimmt. „Sie sind eben nicht bei sich selbst – sondern nebenan“, sagt Annett Scholwin den Titel.

Die Regisseurin ist von der Fragestellung des Stücks sehr berührt. „Es ist doch so, der Mann könnte ja sagen: Ich kaufe jetzt keine Couch, ich nehme wieder die alte Schaumstoffmatratze“, sagt sie. „Aber vermutlich hat er die nicht mehr, kann nicht zurück in sein altes Leben. Die beiden stecken in einer Art Zwischenzeit fest.“

Premiere von „Bin nebenan“ am morgigen Freitag um 20 Uhr auf dem Theaterschiff in der Schiffbauergasse. Der Eintritt kostet von 14 bis 18 Euro

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