Kultur: Unter Strom
Sugarplum Fairy aus Schweden im Waschhaus
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Ohne prozentuale Anteile der Musiker im schwedischen Ort Borlänge zu kennen, muss man dieser kleinen Stadt (knapp 40 000 Einwohner) eine ungewöhnliche Bündelung an musischem Talent attestieren. Wie sonst ist es zu erklären, dass inzwischen drei international recht bekannte Bands ihren ersten Proberaum in Borlänge hatten? Zunächst gibt es die Hard-Rocker von Astral Doors und dann natürlich die coolen Retro-Säue Mando Diao. Mando-Frontmann Gustaf Norén hat noch zwei kleine Brüderchen, Victor und Carl, die sich auch lautstark auszudrücken wissen und fast zeitgleich ihre eigene Band, Sugarplum Fairy, gründeten. Die traten jetzt zum ersten Mal den langen Weg von Borlänge nach Potsdam an.
Die Fünf besteigen die Bühne des Waschhaus selbstbewusst und modisch stilsicher: mit Lederjacken und weißen Unterhemden lassen sie optisch nichts anbrennen und setzen mit „Godfever“ die Soundlatte gleich bis knapp unter die Tinnitus-Gefahr. Das Publikum, das das Waschhaus bis zur Hälfte füllt, tanzt sich warm, singt mit oder fragt sich: „Wie zum Teufel hält es Carl Norén aus, in langer Lederjacke bei gefühlten 70 Grad über die Bühne zu hotten?“
In den folgenden anderthalb Stunden legen die jungen Musiker, alle sind Anfang zwanzig, ihre musikalische Sozialisierung für alle Anwesenden offen. Besonders die Beatles wurden wahrscheinlich von der ersten Schwangerschaftswoche bis zum ersten Pickel in größeren Dosen verabreicht. Und die Band gibt an, auch heute kaum andere CDs als die der Fab Four in den Player zu legen. Das hört man und das hört sich gut an. Zusammen mit rotzigen, blechernen Gitarren, die an The Clash erinnern, nostalgischen Britpop-Anleihen und einer gewissen Hochnäsigkeit eines Mick Jagger ist die Retro-Show perfekt. Quasi die schwedisch-musikalische Version von „Zurück in die Zukunft“. In der Musik steckt bei Sugarplum Fairy noch wenig eigener Stoff, aber sich als Grundlage erst einmal die Großen der Musikgeschichte vorzunehmen, ist für eine junge Band eine gute Taktik. Und im Gegensatz zu ihren Millionen schweren Vorbildern stehen die Jungs auf der Bühne unter Strom und dieser elektrifiziert auch das Publikum. Spontan springt Carl von der Bühne ins Publikum, um dort weiterzusingen – das werden wir von den Gallagher-Brüdern wohl nicht mehr erwarten dürfen.
Während das Make-up der Mädchen in den ersten Reihen verwischt, machen sich auch bei den Songs Verschleißerscheinungen bemerkbar. Gerade noch rechtzeitig, bevor die blechernen Gitarren-Riffs sich abgenutzt haben, greift Victor zur Akustik-Gitarre. Eine verdiente Verschnaufpause, die „Your Eyes“ kurz vor dem Finale bietet. Bei den Zugaben läuft der weiblich dominierte Tanz- und Kreisch-Reigen noch einmal auf Hochtouren. Mädchenhände strecken sich, auf der Bühne wird das Tambourin stark beansprucht und aus den Ärmeln tropft es auf die Saiten. Abschließend beweisen sie, dass man auch Robbie Williams musikalisch zitieren kann, ohne den Verlust der Glaubwürdigkeit zu riskieren („Stay Young“). Ja, wir danken Borlänge und seinen Kindern! Was auch immer dort im Trinkwasser ist, es tut gut.
Christoph Henkel
Christoph Henkel
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