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Johnathan Sheratte im Light of Bo Dy: Er empfängt die Ateliergäste am Sonntag mit einer Performance und Tanz.

© Andreas Klaer

Von Heidi Jäger: Verästelungen

Vom Kamin bei „sans titre“ zum Hofgarten bei „Feuer und Flamme“: Kunst-Corso am Sonntag zum Tag des offenen Ateliers

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Sein Gesicht ist wie eine Landschaft, in das sich Hingabe und Melancholie, Sehnsucht und Aufbegehren hineingegraben haben. Überlebensgroß springt dieses Bob Dylan-Porträt den Betrachter von der Atelierwand Jonathan Sherattes entgegen. Der seit knapp einem Jahr in Potsdam lebende englische Künstler hat drei Jahre an diesem Bildnis gemalt, das die weiße Leinwand im gebrochenen Licht farbig aufleuchten lässt. Die Inspiration für diese innige Hommage war der Film „No Direction Home“ von Martin Scorsese. „Er hat mich förmlich umgehauen in der Intensität des Dialogs, in dem sich beide gegenseitig ,malen’, obwohl Scorsese unsichtbar bleibt.“ Zuvor hatte Sheratte „nichts mit dem Sänger am Hut“, nun sprudelt seine Begeisterung für diesen kreativen Kopf und Songwriter, der sich an Bertolt Brecht schulte, förmlich aus ihm heraus. Er war wie ein Türöffner für ihn, auch in andere Gesichter genauer zu schauen.

An den hohen stuckverzierten Wänden in der halbverfallenen, doch noch immer imposanten Villa in der Friedrich-Ebert-Straße 58 hängen die verschiedensten Köpfe: oft nur Skizzen von Menschen, die er im Zug beobachtete, und die er im Atelier nun näher an sich heranrücken lässt. Gestern in seiner Werksttatt mit dem herrlichen Blick auf den Kastanienbaum war allerdings unter den gemalten Köpfen ein Gewusel von ganz leibhaftigen Kulturleuten auszumachen: allesamt „Werbeträger“ für die Offenen Ateliers, die am kommenden Sonntag von 11 bis 18 Uhr erneut stattfinden werden. Kulturbeigeordnete Iris Jana Magdowski blätterte die neugestaltete Broschüre auf, die ein weit versprengtes Kunst-Corso von Babelsberg, über die Teltower Vorstadt bis nach Groß Glienicke einladend präsentiert.

Auch auf eine Atelier Fahrrad Tour kann man aufsatteln, wenn man sich pünktlich um 11.30 Uhr im Atelierhaus „sans titre“ in der Französische Straße 18 einfindet. Dort krempelten die Gründer Mikos Meininger, Chris Hinze und Constanze Henning das lange leer stehende Haus gehörig um. Nach einem eiskalten Winter können sie sich nun endlich an einem Kaminofen wärmen. Der wird auch am Sonntag angeheizt: Und im Flackern des Kaminholzes können Kinder Gipsfiguren bemalen, während die Erwachsenen in die Bilderwelt der Künstlergemeinschaft eintauchen.

Eine Gemeinschaft, die Johnathan Sheratte bislang vergeblich in Potsdam sucht. Ihm fehle ein reger Disput über die gegenwärtige Kunst. Wie er betont, herrsche eher Bequemlichkeit und Stagnation statt Kreativität und ein Aufeinanderzugehen, wie er es sich noch vor 15 Jahren erhofft hatte, als er schon einmal mit zwei Installationen in Potsdam aufwartete: bei „Kunst im Stadtraum“. Damals vergrub er am Bornstedter Feld 36 Lautsprecher unter der Erde, die die Brandenburgischen Konzerte von Bach übers trockene Gras ertönen ließen. Man darf also gespannt sein, was am Sonntag um 12.30 Uhr in der Performance mit seiner Frau, der Tänzerin Britta Schönbrunn, im „Light of Bo Dy“ passiert.

Absteigen heißt es um 14.30 Uhr auch am Brandenburger Tor, wenn ein altvertrautes tickendes „Stadtmöbel“ wieder die Stunde schlägt. Wie bereits berichtet gelangt die restaurierte Spieluhr von Gottfried Höfer an seinen angestammten Platz zurück, nachdem sie von Restaurator Klaus Ferner in alten Schwung versetzt wurde. Dank des Bürgervereins „Freies Tor“ erklingt nun wieder Eislers „Frühlingslied“ und erinnert auch daran, wie sich dort 1983 Regimekritiker „Zum „Schweigen für die Umwelt“ und „Schweigen für den Frieden trafen“ , die danach strafrechtlich verfolgt wurden. Im Oktober 1989 formierte sich an dieser „Litfaßsäule der Zeit“ die erste ungenehmigte große Demonstration.

25 000 Euro gab die Stadt für die Uhr aus, die am Sonntag festlich umfeiert wird und die um 16 Uhr auch für eine muntere Künstlerbegegnung ein paar Hundert Meter weiter im Hofgarten der Jägerstraße 39 anschlägt. Dort gibt es eine Modenschau mit sommerlichen „Verästelungen“ von Christin Lau sowie Modedesign und Schmuck von anderen Künstlerinnen. Im Laden „Feuer und Flamme“ von Iris Soike stellt Jana Wilsky Malerei, Grafik und Siebdruck aus, während im Hof die Musik den Ton angibt.

Der Sonntag verheißt also verästelte Frohlockungen fürs Auge, quer durch die Stadt, die vielleicht auch zum Kauf animieren. „Wir wissen um die existenziellen Probleme der Künstler“, sagte Iris Jana Magdowski, die sich am Sonntag mit aufs Rad schwingen wird. Und vielleicht selbst fündig wird.

Weiteres Infos unter Tel. 0331-2896338 oder www.potsdam.de/kultur.

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