Von Dirk Becker: Verbrechen und „Felderlatein“
Das Brandenburgische Literaturbüro hat sein Programm vorgestellt / Dieses Jahr keine Literaturnacht
Stand:
Mit diesem Mann ließe sich mühelos das Hans Otto Theater füllen. Denn das Böse zieht immer. Mit Ferdinand von Schirach kommt Anfang November ein Schriftsteller nach Potsdam, der es derzeit wie kein anderer Schriftsteller in diesem Land versteht, über das Abgründige im menschlichen Handeln zu schreiben. Klar und schnörkellos, fesselnd und verstörend, faszinierend und erschreckend.
Ferdinand von Schirach ist ein Meister. Ein Stilist. Ein Zauberer. Seine Prosa ist so schlicht. Und dabei so schön. Sie hat einem nach so langer Zeit wieder gezeigt, wie viel Magie in der Sprache liegen kann, wenn sich da einer zu Wort meldet, der sie versteht und sie zu nutzen weiß, ohne sie beherrschen zu wollen. Im vergangenen Jahr ist Ferdinand von Schirachs Debüt erschienen. „Verbrechen“, so der Titel, das sich bis heute mehr als 150 000 verkauft hat. In diesem Sommer hat er, im Hauptberuf Strafverteidiger, sein zweites Buch veröffentlicht. „Schuld“, so der Titel. Es gibt nicht viele Bücher, deren Kauf uneingeschränkt, ja fast schon verpflichtend empfohlen werden können. „Verbrechen“ und „Schuld“ gehören ohne jegliche Einschränkung dazu.
Aber Ferdinand von Schirach wird am Mittwoch, dem 3. November, bei seinem Besuch in Potsdam nicht im Hans Otto Theater lesen. „Wir wissen, dass für diesen Schriftsteller genug Zuhörer in das Theater kommen würden“, sagte Hendrik Röder, Geschäftsstellenleiter des Brandenburgischen Literaturbüros in Potsdam am gestrigen Montag. Doch sei es immer auch Ziel des Brandenburgischen Literaturbüros gewesen, durch Lesungen mit renommierten Autoren den Standort der Villa Quandt am Pfingstberg zu etablieren und gleichzeitig bekannter zu machen. Mit dem Programm für die kommenden Monate, das am Montag in der Villa Quandt vorgestellt wurde, dürften Katarzyna Kaminska, Hendrik Röder und Peter Walther vom Literaturbüro diesem Anspruch mehr als gerecht werden.
Allein 14 Veranstaltungen bietet das Brandenburgische Literaturbüro bis einschließlich Januar in den hauseigenen Räumen der Villa Quandt an. Daneben sind aber auch zwei Lesungen im Hans Otto Theater und im Nikolaisaal geplant. So wird am 17. Oktober Günter de Bruyn aus „Die Zeit der schweren Not. Schicksale aus dem Kulturleben Berlins 1807-1815“ im Hans Otto Theater und am 14. November Christa Wolf aus ihrem Roman „Stadt der Engel oder The Overcoat of Dr. Freud“ lesen.
Solche Highlights gehören seit Jahren zum Programm des Brandenburgischen Literaturbüros. Genauso wie die Konzentration auf das Regionale, die Verbindung von Potsdam und der Literatur. Das ist dann gleich wieder am kommenden Sonntag, dem 22. August, in der Reihe „Literatouren“ zu erleben. Dort spricht der langjährige Direktor des Heinrich-Heine-Instituts in Düsseldorf, Joseph Kruse, unter dem Titel „Nichts als Himmel und Soldaten“ über den knapp dreimonatigen Aufenthalt von Heinrich Heine in Potsdam im Frühjahr 1929.
Eine Woche später, am 28. August, wird dann der bekannte Zeit-Kolumnist und Tagesspiegel-Autor Harald Martenstein erwartet, der aus alten und neuen Texten, darunter seinem demnächst erscheinenden zweiten Roman lesen wird. Im September werden der australische Journalist und Schriftsteller Nicolas Rothwell und mit Fritz J. Raddatz einer der bekanntesten und sprachbegabtesten Publizisten in der Villa Quandt lesen. Obwohl schon jetzt die Veröffentlichung seiner Tagebücher in den kommenden Wochen für heftige Diskussionen sorgt, wird Raddatz in Potsdam nicht daraus, sondern aus seiner Rilke-Biografie lesen. Anfang Oktober stellt der in Wilhelmshorst lebende Lutz Seiler seinen neuen Gedichtband „Im Felderlatein“ vor.
In den Monaten Oktober, November und Dezember ist das Interesse auch auf Klassiker wie Thomas Mann, Heinrich von Kleist und Leo Tolstoj gerichtet. So wird der in Potsdam lebende Autor und Theaterdramaturg John von Düffel, der gerade Uwe Tellkamps Mammutwerk „Der Turm“ für eine Produktion am Hans Otto Theater eindampft, über Manns „Die Buddenbrooks“ sprechen. Anfang November steht dann Leo Tolstoj an zwei Abenden im Mittelpunkt.
Abschluss des zweiten Halbjahres und gleichzeitig Ausblick auf das kommenden Jahr ist die für den 30. Januar geplante Buchpremiere von „Die Russen sind da. Kriegsende und Neubeginn 1945 in Tagebüchern und Briefen aus Brandenburg“. Wie Peter Walther am Montag sagte, sei diese Veranstaltung der vorläufige Abschluss der im vergangenen Jahr begonnenen Suche nach Tagebüchern und Briefen aus Brandenburg unter dem Motto „Zeitstimmen“. Insgesamt 120 eingesandte Tagebücher sind in den vergangenen Monaten ausgewertet worden. Und es hat sich gezeigt, dass ein großer Teil davon sich mit der Zeit von 1944 bis 1949 beschäftigten. Gleichzeitig zur Buchpremiere sollen die zahlreichen Zeitzeugenberichte im Internet zugänglich gemacht werden.
Eine Brandenburgische Literaturnacht wird es, so Hendrik Röder, in diesem Jahr wohl nicht geben. „Es gab zwar gute Gespräche auch mit dem Theater“, so Röder, doch die schwierige finanzielle Situation erschwere deutlich eine entsprechende Planung. So hat das Brandenburgische Literaturbüro zwar eine mündliche Zusage für die notwendige Förderung für das kommende Halbjahr erhalten. Doch der auch für die Banken so wichtige Zuwendungsbescheid ist noch nicht eingetroffen. „Wir sind aber guter Dinge“, sagte Peter Walther. So traurig es auch klingen mag. Aber an diesen unmöglichen und so unsicheren Zustand haben sich die freien Träger in Brandenburg leider langsam gewöhnen müssen.
www.literaturlandschaft.de
Dirk Becker
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: