Kultur: Verführerische Pralinés
Die Schauspielerin Dagmar Manzel sang im Nikolaisaal Theaterlieder
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Die besten Schauspieler sind nicht immer die prominentesten. Dagmar Manzel gehörte fast zwanzig Jahre zum Ensemble des Deutschen Theaters Berlin, sie hat unter Heiner Müller und Thomas Langhoff gespielt. Dann kamen Rollen in Kino- und Fernsehfilmen. Filme, an die man sich erinnert: „Schtonk“ von Helmut Dietl, „Der Laden“ nach Strittmatter, die Verfilmung der Klemperer-Tagebücher und Dresens „Willenbrock“. Das Pech der talentiertesten Schauspieler, in ihrer Rolle fast schon zu perfekt aufzugehen, traf hier regelmäßig die 1958 in Berlin geborene Manzel. Beweis? Jeder verbindet mit der Verfilmung von Ingrid Nolls Roman „Die Apothekerin“ zunächst den Namen der prominenten, aber vielleicht nicht ganz so begnadeten Katja Riemann. Dagmar Manzel jedoch spielte an ihrer Seite. Das muss man wissen. Manzel ist eine, die die Bühne liebt und braucht, jedoch nicht unbedingt den Ruhm.
Und mit dieser Bescheidenheit, dieser Konzentration auf das Spiel jenseits der Persönlichkeit beginnt Dagmar Manzel ihr Programm von 30 Theaterliedern im Nikolaisaal. Sie reckt ihren blonden Schopf durch eine Seitentür vor der Bühne, auf der ihre vier Musiker sie schon erwarten. Ein Spotlicht fängt ihr sympathisches aber eher schüchternes Lächeln auf. Dann erklimmt sie mit schnellen Sätzen die nur von einem schwarzen Vorhang umgrenzte Bühne und – singt einfach drauflos. Keine Worte der Begrüßung, keine Erklärungen zwischendrin. Andere hätten zunächst wortreich das etwas ins Abseits geratene Genre des Theaterliedes erklärt und ausgeführt, wie viel jedes Lied einem persönlich bedeuten würde. Dagmar Manzel jedoch sagt das alles einfach durch ihr Spiel. Ihre Hingabe sieht man, wenn sie zu den Stücken tanzt und dabei mit verschlossenen Lidern lächelt. Wie ihre Augen glänzen, wenn sie zu ihrem kleinen Orchester schaut und mit ihm Scherze treibt. Klavier, Violine, Klarinette und Kontrabass sitzen ergeben zu ihr gewandt und begleiten souverän.
Die besten Schauspieler sind noch lange keine guten Sänger. Manche können das leidlich, und würden doch vor einem ganzen Liederabend zurückschrecken. Dagmar Manzel, das hörte man ihrer geschulten Altstimme an, wäre beinahe Sängerin im ernsten Fach geworden. Und fehlt ihr gelegentlich eine Winzigkeit an Kraft, dann bügelt es ihre Spielfreude sofort wieder aus.
Das Programm, das so schon häufig im stets ausverkauften Deutschen Theater aufgeführt wurde und auch als CD zu haben ist, vereint kleine Liedchen aus der Welt des Theaters, der Operette und – man staune – sogar der Oper. Ihnen gemeinsam ist die extreme Kürze, mehr als eineinhalb Minuten Zeit hat die spielende Sängerin nicht, die Rolle und das dazu passende Temperament zu treffen. Dieses fast atemlose Wechselspiel ist die Welt der Dagmar Manzel: Zu Beginn die Berliner Kodderschnauze zu bemühen, die auch männlich tiefe Flüche auszustoßen vermag, um sich gleich darauf in Jacques Offenbachs „Orpheus in der Unterwelt“ ihre Sehnsucht in soprannaher Höhe zu kolorieren. Die Stückchen sind wie kleine Pralinés, in die man vor dem Verzehr nur einmal hineinbeißt, schon sind sie verschwunden. Süß, nicht immer leicht, aber unbedingt verführerisch. Die Verwandlung ist auch das Prinzip der überlegten Choreographie.
Das alles tut sie mit dem Spaß von Kindern bei der Modenschau vor Muttis Kleiderschrank. Ganz ernst kann man da nie sein. Im „Schleiertanz“ aus der Vertonung von Oscar Wildes „Salome“ kokettiert sie vor ihren Mitmusikern mit bunten Seidentüchern an den Hüften. Und die Warnung der Erda aus Wagners „Rheingold“ müsste bedrohlich klingen, nur leider spricht diese Figur hier tiefstes Sächsisch. Und alle ihre als Ballerina begonnene Pirouetten enden in gespielter Unbeholfenheit mit verknautschtem Gesicht. „Ich will gar nicht perfekt sein“, spricht es aus ihm.
Also spielt Dagmar Manzel eigentlich an diesem Liederabend dreißig Kurzrollen, in denen sie nebenbei auch noch ihr beträchtliches Gesangstalent zeigen darf. Glänzend, wie sie den Jargon wechselt, flucht, droht, leidet und dabei burschikos ihren ironischen Höhepunkt in Offenbachs „Die Großherzogin von Gerolstein“ findet. Der Applaus dauert so lange wie drei ihrer Lieder. Mindestens.
Matthias Hassenpflug
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