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Kultur: Vergänglichkeit und Ewigkeit

Mit Verdis „Messa da Requiem“ beginnen am heutigen Samstag die Potsdamer Vokalwochen „Vocalise“

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Der mittelalterliche Text der „Messa da Requiem“ inspirierte Giuseppe Verdi zu einer Komposition von überwältigender Eindringlichkeit und Direktheit des Ausdrucks. Mit großem dramatischen Impetus wird der Bogen geschlagen von den Schrecken des Jüngsten Gerichts im „Dies irae“ bis zur inbrünstigen Bitte um Errettung in „Libera me“, mit der Verdi, in Abweichung von der liturgischen Konvention, seine Komposition beschließt. Das Requiem des vor allem als Opernkomponist berühmt gewordenen italienischen Meisters ist der Auftakt des diesjährigen Potsdamer Vocalfestivals „Vocalise“ in der Friedenskirche, das von dem Verein „Musik an der Erlöserkirche“ veranstaltet wird. Ud Joffe, der künstlerische Leiter des Festivals, sagte gegenüber den PNN, dass die Aufführung am heutigen Samstagabend der Vocalise-Beitrag zum 200. Geburtstag Verdis ist. „Wir freuen uns auch, dass wir in unserem Programm wiederum den Oratorienchor Potsdam und seinen Dirigenten Matthias Jacob begrüßen können, mit denen wir seit Bestehen von Vocalise eng verbunden sind“, so Joffe. Die Aufführung, in der das Brandenburgische Staatsorchester Frankfurt/Oder und bekannte Gesangssolisten mitwirken, wird zugleich auch das letzte Konzert von Matthias Jacob in seinem Kantorenamt sein.

Das Requiem von Verdi ist ein grandioser Einstieg in das diesjährige Vocalise-Thema „Vergänglichkeit und Ewigkeit“. Beides beschäftigt den Menschen seit jeher. Vergänglichkeit wird allgemein als Fluch erfahren, durch den man nichts Gutes und Schönes festhalten kann. Ewigkeit beschreibt eine Existenzweise, für die das nicht gilt. „Wir sind zwar von Ewigkeit fasziniert, sprechen und schreiben darüber, verstehen können wir die Unendlichkeit mit unserem logischen Denken jedoch nicht“, sagt Ud Joffe. Auch die Komponisten aller Zeiten haben sich mit Vergänglichkeit und Ewigkeit in ihrer Musik beschäftigt. Daraus erwuchs Ergreifendes, Dramatisches, Tröstendes und Beseeltes. Wie Verdi hat sich auch Johannes Brahms in seinem Werk „Ein deutsches Requiem“ dem Thema ganz unkonventionell genähert. Das Besondere war, dass Brahms statt des sonst üblichen lateinischen Textes die deutsche Bibelübersetzung Luthers als Textgrundlage verwandte. Brahms hat die Texte nach subjektivem Empfinden selbst ausgewählt. Ud Joffe wird das Requiem, das als meistaufgeführtes oratorisches Werk gilt, gemeinsam mit der Sopranistin Esther Hilsberg, dem Bariton Raimund Nolte, dem Neuen Kammerchor sowie dem Neuen Kammerorchester Potsdam am 3. November in der Erlöserkirche interpretieren. Eine musikalische Begräbnis-Messe, die sich ebenfalls nicht den Konventionen beugt, hat der frühbarocke Komponist Heinrich Schütz mit seinen „Musikalischen Exequien“ anlässlich des Todes seines Landesherrn Heinrich Posthumus Reuß 1635/36 geschrieben. Die deutsche Bibeltext-Auswahl besorgte mit der Zerstörung ihrer prachtvollen Wirkungsstätten der Fürst noch selbst. Die kunstvolle Trauermusik aus dem 17. Jahrhundert wird während des Gottesdienstes am kommenden Sonntag in der Erlöserkirche vom Vocalconsort Potsdam zu Gehör gebracht.

Von den sieben Konzerten und musikalisch gestalteten Gottesdiensten leitet Ud Joffe während der vierzehntägigen „Vocalise“ allein sechs Veranstaltungen. Dem aus Israel stammenden Dirigenten ist es selbstverständlich ein Anliegen, Musik jüdischer Komponisten aufzuführen, Musik, die in der NS-Zeit verfemt wurde und danach in Vergessenheit geriet. Der 75. Jahrestag der Reichspogromnacht vom 9. November 1938 als Erinnerungs- und Mahndatum ist Anlass, der Diskriminierung, der systematischen Verfolgung und Ermordung von Juden durch die Nationalsozialisten, der tiefsten Schattenseite deutscher Geschichte, zu gedenken. „Die goldene Ära der synagogalen Musik endete mit der Zerstörung ihrer prachtvollen Wirkungsstätten abrupt während der Reichspogromnacht. Zu ihrem alten Glanz hat sie in Europa nicht wiedergefunden. In unserem Konzert am 9. November im Nikolaisaal wollen wir eine Ahnung von diesem Glanz hörbar machen. Wir sind froh, dass wir dafür einen der besten deutschen Chöre gewinnen konnten: den RIAS-Kammerchor. Er wird gemeinsam mit Kantor Azi Schwartz synagogale Musik unter dem Titel ,Gott ist barmherzig‘ singen“, sagte Joffe.

Von Ernest Bloch, dem Schweizer Komponisten jüdischer Abstammung, der in den USA eine Heimat fand, erklingen am 10. November in der Erlöserkirche das oratorische Werk „Avodath Hakodesh“ (Jüdische Liturgie) sowie die Hebräische Rhapsodie für Violoncello und Orchester. In beiden Werken, die auf die Verwendung traditioneller jüdischer Musik zumeist verzichtet, initiierte Bloch aus deren Geist heraus eine eigene Klangwelt , spätromantisch-impressionistisch. „Avodath Hakodesh“ werden von Colin Schachat, der Potsdamer Kantorei und dem Neuen Kammerorchester Potsdam interpretiert. Das Orchester wird auch Partner von Zvi Plessner, Violoncello, bei der Hebräischen Rhapsodie sein.

Als besondere Farbtupfer stehen auf dem Vocalise-Programm zwei Veranstaltungen: In der Erlöserkirche werden am 29. Oktober die Potsdamer Vokalsolisten bei „Englisch flowers“ die ganze Bandbreite vokalen Musizierens von Henry Purcell bis Benjamin Britten zu Gehör bringen. In der Friedenskirche lassen das Neue Kammerorchester und die Solistinnen Norma Nahoun, Sopran, und Regina Jakobi, Mezzosopran, eine farbenprächtige Palette französischer Musik von Hector Berlioz, Claude Debussy und Francis Poulenc zum Klingen bringen. „Beim Konzert für Orgel, Streicher und Pauken von Poulenc wird sich der Nachfolger von Matthias Jacob, Joachim Walter, in Potsdam erstmals der Öffentlichkeit vorstellen“, so Ud Joffe.

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