Kultur: „Vergeblichkeit steckt ja in allem“
ist für mich eine eingeschriebene Landschaft.“ Mit ihrem Debütroman „Dinge, die wir heute sagten“ hat Judith Zander ein sprachgewaltiges Buch über die Sprachlosigkeit geschrieben – Heute erhält sie den Potsdamer Literaturpreis „Der kleine Hei“ Die reden sehr wenig und Probleme macht man mit sich selbst aus.“
Stand:
Frau Zander, „Dinge, die wir heute sagten“ ist der Titel Ihres Romans, für den Sie heute den Potsdamer Literaturpreis „Der kleine Hei“ erhalten. Ein Titel, der förmlich reizt, ihn weiterzuführen: Dinge, die wir heute sagten, müssen morgen schon nicht mehr stimmen?
Wenn, wie Sie sagen, die Dinge, die wir heute sagten, morgen vielleicht schon nicht mehr stimmen müssen, ist das etwas, was ganz häufig passiert. Das ist ja die Realität, dass Dinge in der Erinnerung nicht mehr stimmen, die Erinnerung von dem abweicht, was eigentlich passiert ist.
Es geht in „Dinge, die wir heute sagten“ aber um die Suche nach Wahrheit?
Ja, darum geht es in der Literatur ja generell. Was einen Autor antreibt, ein Buch zu schreiben, ist ja vielleicht immer ein bisschen die Suche nach Wahrheit.
Eine Wahrheit, die sich in der Erinnerung immer wieder neu formt?
Der Titel „Dinge, die wir heute sagten“ beschreibt schon das Prinzip des Buches, in dem viel durch Erinnerungsarbeit passiert. Wobei man sich da aber nicht sicher sein kann, was nun letztendlich wirklich passiert ist.
Sie lassen in diesem Roman neun Personen aus dem fiktiven Bresekow, einem Dorf in Vorpommern, mit ihren ganz eigenen Wahrheiten, ganz eigenen Erinnerungen zu Wort kommen. Letztendlich ist das aber immer nur ein Umkreisen der möglichen Wahrheit. Ist die Suche nach Wahrheit daher nicht immer nur eine Form von Vergeblichkeit?
Vergeblichkeit steckt ja in allem und gerade im Schreiben. Und man sollte sich beim Schreiben nicht der Illusion hingeben, dass man so der Wahrheit auf die Schliche kommen könnte. Die Vergeblichkeit ist quasi in jedem Buch mit eingeschrieben.
Ein deutliches Zeichen dieser Vergeblichkeit, das in vielfältiger Form auch in „Dinge, die wir heute sagten“ auftaucht, zeigt sich in dem ewigen Dilemma, ob man sich überhaupt selbst richtig kennen kann. Da ist Ingrid, die nach dem Tod ihrer Mutter, nach Jahren aus ihrer neuen Heimat Irland zurück nach Bresekow kommt. Sie ist die einzige in dem Buch, die von sich immer nur in der zweiten Person spricht.
Dieses Dilemma, sich selbst nicht zu kennen, steckt auch in mir. In „Die Dinge, die wir heute sagten“ wird dieses Dilemma besonders an Ingrid deutlich. Dass sie ständig in der Du-Form von sich selbst redet, zeigt ja, dass sie sich selbst immer etwas fremd bleibt. Gleichzeitig beobachtet sie sich aber durch diesen Abstand ganz genau. Also ist das schon eine gewisse Form von Sich-Kennen. Aber trotzdem bleibt da immer diese Unsicherheit, wie wirklich das denn alles sein kann, was da passiert ist.
Zu wissen, dass wir uns selbst kaum kennen, bedeutet ja im Umkehrschluss, dass wir selbst von den Menschen, mit denen wir zusammenleben, viel weniger wissen als wir glauben. Eine sehr ernüchternde Erkenntnis.
Aber auch eine wichtige Erkenntnis. Wenn Literatur überhaupt etwas leisten kann, dann zu solchen Erkenntnissen zu verhelfen. Diese Erkenntnis der Unsicherheit letztendlich.
Diese Unsicherheit zeigt sich auch in einer Sprachlosigkeit, die Sie in „Dinge, die wir heute sagten“ thematisieren. Es sind vor allem Monologe, die wir lesen. Nach Innen das Selbstgespräch, nach Außen aber bleibt dann nur ein Schweigen, eine Sprachlosigkeit?
Es ging mir vor allem um diese Menschen dort in der vorpommerschen Provinz und diese Form der Sprachlosigkeit. Wobei ich glaube, dass man das so über jede Provinz sagen könnte. Aber da ganz speziell, weil es ja heißt, die Fischköppe sind maulfaul. Und in gewisser Weise stimmt das auch. Die reden sehr wenig miteinander und schwerwiegende Probleme macht man mit sich selbst aus.
Ist eine solche Sprachlosigkeit nur ein Problem der Provinz? Ist es nicht eher so, dass Menschen in der Großstadt die Anonymität und die damit verbundene Sprachlosigkeit beklagen und das Leben im Dorf verklären, weil da jeder jeden kennt und alle miteinander reden können?
Das glaube ich nicht. Denn weil sich die Menschen in der Provinz so gut kennen, herrscht dort eine Art von sozialer Kontrolle viel stärker und man achtet viel mehr darauf, was man sagen kann oder was nicht. Denn sonst weiß es vielleicht am nächsten Tag das ganze Dorf.
Also je kleiner der Ort, umso größer das Misstrauen?
Ja.
Ist in diesem Zusammenhang Heimat, die dörfliche Heimat dann nicht nur ein anderer Begriff für Hölle?
Ich weiß nicht. Das steht oft in den Rezensionen zu „Dinge, die wir heute sagten“. Mir persönlich gefällt das nicht. Denn Hölle ist einfach übertrieben.
Aber was ist dann für Sie, Heimat, in Bezug auf „Dinge, die wir heute sagten“?
Ich glaube Heimat ist das, was man nie ganz los wird. Der Ort, von dem man kommt.
Der Dramatiker Heiner Müller hatte da eine eher pragmatische Einstellung. Er soll gesagt haben, Heimat ist dort, wo die Rechnungen ankommen.
Das ist natürlich individuell unterschiedlich, wie man mit dem Begriff Heimat umgeht. Aber für mich ist das eine eingeschriebene Landschaft.
Der Ort also, an dem wir unsere Kindheit verbracht haben?
Das ist für jeden auch unterschiedlich. Aber wenn man seine Kindheit quasi durchgehend an einem Ort oder in einer Gegend verbracht hat, dann entwickelt sich so etwas wie ein Heimatgefühl. Sowohl in positiver als auch in negativer Hinsicht.
Das Gespräch führte Dirk Becker
Lesung und Preisverleihung des „Kleinen Hei“ an Judith Zander am heutigen Dienstag, 20 Uhr, im Literaturladen Wist, Brandenburger / Ecke Dortustraße. Der Berliner Akkordeonistin Cathrin Pfeifer sorgt für musikalische Abwechslung. Der Eintritt ist frei
Judith Zander, geb. 1980 in Anklam, studierte in Greifswald und am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig. Neben dem Schreiben von Lyrik und Prosa übersetzt sie aus dem Englischen.
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