Von Heidi Jäger: Vergessen – Erinnern
Lesung und Filmsequenzen zum Geburtstag des verstorbenen Künstlers Ralf-Günter Krolkiewicz
Stand:
Es ist wohl das letzte Bild, das er malte. Auf einem Tisch mit gelber Decke liegen weiße Tulpen. Der Rotwein glänzt rubinrot im Glas. Fast übersieht man den kleinen schwarzen Kasten, der am oberen Rand dieses Stilllebens schwebt. Die nur angedeutete Figur in diesem Sarg trägt über dem Kopf die Zahl 52. Das Alter, in dem Ralf-Günter Krolkiewicz im Oktober starb.
Am Mittwochabend lehnt dieses Bild am Tisch im Buchladen Wist. Es ist der 53. Geburtstag des Künstlers und zugleich ein Abschiednehmen. Nachdem Ralf-Günter Krolkiewicz am Montag auf dem Bornstedter Friedhof zu Grabe getragen wurde, erfüllt nun das Werk des Theatermanns, Schriftstellers und Malers den dicht besetzten Raum. „Der Tod ist zumutbar fürs Leben, so muss auch dieser Abend zumutbar sein“, sagt Carsten Wist. Viele Freunde und Kollegen vom Theater sind gekommen. Und auch Krolkiewicz ist fühlbar nah. Noch einmal hört man ihn reden, sieht auf der Leinwand in sein weiches Gesicht mit dem Stoppelbart und den aufmerksam-lauernden Augen hinter der Brille. Gemeinsam mit Regisseur Claus Dobberke, der ihn in seinem Haus in Bredow filmte, gehen wir die Treppe hinauf in das lichte Arbeitszimmer, schauen durch das große Dachfenster auf den Nussbaum im Hof. Krolkiewicz öffnet seinen Laptop, liest Stellen aus einem Text, der ihm besonders wichtig ist. Wie nebenbei greift er zur Tablette, die ihm das Zittern nimmt. „ich wollte weg von dem druck der auf unseren buckeln liegt“, heißt ein Satz, den er ohne Punkt und Komma notierte. Als wenn er keine Zeit für „Unterbrechungen“ hatte.
Vieles brach am Ende seines Lebens fast sturzartig aus ihm heraus. Texte, Bilder und immer wieder anklagende Wut, die er als Opfer von Willkür nie ganz abzuschütteln vermochte. Krolkiewicz wollte dazu gehören und landete doch immer wieder in der Einsamkeit.
Schon als Kind wurde er in seiner Familie zum Außenseiter. Und auch sein frühes Schreiben brachte ihm nicht den Platz in der Mitte: „Er wusste nichts von Tabus und eckte in aller Unschuld an. Was er anfasste, wurde zum heißen Eisen, da er ernst nahm, was Agitation und Propaganda über Offenheit und Ehrlichkeit verkündeten“, schrieb der Schriftsteller Joachim Walther im Nachwort zu dem Buch „Nirgends ein Feuer“, das die so verschiedenartigen Texte von Krolkiewicz vereint. Darunter pointiert-respektlose Verse wie „Der Narr“ – gewidmet der FDJ-Kulturkonferenz. „Vergeßt das Trauergeheul. So zähnefletschend falsch wie Eure vertrockneten Tränen!“, liest Rita Feldmeier dieses verhängnisvolle Gedicht. Sie hat wie Philipp Mauritz und Kathrin Schwingel als ehemalige Kollegin an dem kleinen Tisch bei Wist Platz genommen, wo Krolkiewicz selbst einst seine Texte ins Publikum sprach. Nun hören wir sie aus fremden Mund und werden abermals mitgerissen. Die Schauspieler tragen aus „Hafthaus“ vor und wir werden Ohrenzeuge, wie Krolkiewicz 1984 nach der Lesung der „Narren“ und anderer Spottgedichte im „Spartacus“-Club am helllichten Tag festgenommen und ins Stasigefängnis in der Lindenstraße gebracht wird: Die Freundin Nina allein vor dem schweren Eisentor.
Nach Haft und Abschiebung in den Westen bleibt er weiter unfreiwillig der Wanderer zwischen den Welten, „weder West geworden, noch Ost geblieben“, so Joachim Walther. Dennoch warf sich der Heimkehrer mit ganzer Kraft ins Theater, als er 1996 nach Potsdam zurückkehrt. Wir sehen ihn in einer Filmsequenz, wie er als Intendant den Grundstein für das lang ersehnte neue Haus in der Schiffbauergasse legt. „Die ganze Welt ist eine Bühne, worin wir alle eine Rolle spielen“, spricht er mit Shakespeares Worten. Krolkiewiczs Rolle war die des unermüdlichen Mahners, der die Erinnerung bewacht und misstrauisch auf die Gegenwart schaut. Dabei steht der an Parkinson Erkrankte selbst zunehmend am Abgrund. Auf einem seiner ausgestellten Bilder sieht man einen Mann mit geschlossenen Augen, die Arme wie ein Rettungsring um den Hals gelegt. Doch es gibt für diesen einsamen Tänzer keinen Halt. Der Ring ist geöffnet. Krolkiewicz schrieb für Carsten Wist einen Text über „Vergessen – Erinnern“. Er wirkt an diesem Abend wie ein Auftrag. Ralf-Günter Krolkiewicz soll nicht verstummen. Seine Werke jedes Jahr am 19. November erneut verlesen werden: Carsten Wist möchte die Gedenkfeier in seinem kleinen Laden Jahr für Jahr wiederholen. „Auch wenn die Geburtstagsrunde immer kleiner wird.“
Am Mittwochabend nahmen die noch im Bann der Trauer stehenden Gäste gern die Einladung an, so lange zu bleiben, bis der Rotwein ausgetrunken ist. „Das wäre ganz gewiss im Sinne von Ralf,“ sagt Wist.
Ralf-Günter Krolkiewicz ist von der Lebensbühne abgetreten. Noch einmal sieht man ihn, wie er sich gemeinsam mit seinen Schauspielern vor dem Publikum verneigt. Vom Beifall ergriffen und tief gerührt. Diesmal mitten drin.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: