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Kultur: Verkleidete Möbel, Schattenfrauen, Holzgiganten

Wie Künstler leben und arbeiten – Der Tag der offenen Ateliers und Galerien heißt am Sonntag Neugierige willkommen

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Wie Künstler leben und arbeiten – Der Tag der offenen Ateliers und Galerien heißt am Sonntag Neugierige willkommen Der Winter kommt bestimmt, auch wenn frühlingshafte Temperaturen den November derzeit verhöhnen. Das Atelier „Kontrast“ ist dennoch auf die kühle Jahreszeit eingestellt und hält in meterhohen Regalen die fantasievollsten Hutkreationen bereit. Schon beim Bummel durch die Mittelstraße macht Juliane Rothenburg mit ihrem „transparenten Atelier“ auf die ausgefallenen Kopfbedeckungen, aber auch auf ihre „verkleideten Möbel“ neugierig. Gast in ihrem kleinen, gemütlichen Zauberstübchen ist zur Zeit die Hamburgerin Anita Braun, die Schals aus Samt und Seide mit Siebdruck adelt. Am kommenden Sonntag sind anlässlich des „ Offenen Ateliers“ Gäste besonders willkommen. Sie können nicht nur die Kopf krönenden Kappen probieren, sondern auch Einblick in deren Herstellung nehmen. „Viele können sich nichts unter der Arbeit einer Textilgestalterin vorstellen, denken eher an Stricken, Nähen, Häkeln.“ Wie der Weg eines Liebhaberstücks vom Schnitt bis zur Fertigstellung indes wirklich aussieht, darüber gibt Juliane Rothenburg am Sonntag Auskunft. Ihr Mut zum Hut hat jedenfalls Früchte getragen: fünf Jahre konnte sie sich bereits am besuchergünstigen Standort im Holländischen Viertel behaupten. Schlicht und extravagant, keineswegs ausladend-pompös, kommen ihre Schöpfungen daher – und nehmen selbstsicher ihren Platz zwischen klassischem Hut und landläufiger Mütze ein. Um auf den „Tag des offenen Ateliers“ neugierig zu machen, haben sich noch andere Künstler um ihren Werkstatt-Tisch geschart und geben auf Einladung des Kulturamtes den Vertretern der Presse Auskunft über ihr spezielles Angebot. Die „Galerie M“ des brandenburgischen Verbandes Bildender Künstler lässt durch die Glasmalerin Astrid Germo ihre Aktionen verkünden. Dort werden am Sonntag gleich mehrere Künstler vertreten sein und ihre Arbeiten auf einem Bildermarkt feil bieten. Christian Heinze fertigt erneut Radierungen an, die auch schon zum Schnäppchenpreis von 10 Euro zu haben sind. Gerade diese entspannte, kreative Atmosphäre sei es wohl gewesen, die bereits im vergangenen Jahr viele Besucher anzog, so Astrid Germo. Ihre Arbeiten werden nicht nur in der Galerie „M“, sondern auch ein paar Häuser weiter in der Sperl Galerie zu sehen sein. Als ein äußerst zurückhaltender, ja fast ängstlicher Vertreter seiner Malerzunft, zeigte sich Jürgen Stragies, der erst vor kurzem sein Küchen-„Atelier“ im Holländische Viertel verließ und jetzt in der Kottmeierstraße 5 am Brunnen gemeinsam mit Tinka Scharsich im Keller ein Atelier betreibt. Zu seiner abstrakten Malerei gesellt sich also weibliche Textilgestaltung, Collagen und Fotografie. „Ich habe vorher den gedanklichen Austausch über meine Arbeit sehr vermisst. Das Zusammengehen mit Tinka ist ein großer Gewinn für mich. Es ist immer schwierig, ein Bild aus dem Atelier zu tragen, weil man nicht genau weiß, ob es gut genug ist. Tinka hat ein sicheres Gefühl dafür.“ Jürgen Stragies ist immer mit den Augen auf Reisen, die noch frischen Eindrücke von Naxos nehmen ihn derzeit besonders gefangen. „Ich war in einem Marmorsteinbruch. Wenn man so etwas gesehen hat, will man es natürlich festhalten. Doch so ein archaisches Gebilde kann man nicht besser auf die Leinwand bannen.“ Bei ihm sei das Malen kein vorhersehbarer Prozess. „Seit Jahren beschäftigt mich schon der fast mystische ,Hopfenwald“ in Nattwerder, aber erst jetzt mitten in meinen Griechenland-Bildern mit den schwarzen Frauen als Schattenwesen, bricht er sich auf einmal Bahn.“ Jürgen Stragies wollte immer Maler werden, hatte aber Hemmungen, sich an einer Kunsthochschule zu bewerben. So kam der Treuenbrietzener über den Umweg der Schlosserlehre zur Fachschule für Werbung und Gestaltung nach Potsdam und erreichte schließlich doch sein Ziel. Zunächst nahm ihn der Film gefangen. Für „Das Kondom des Grauens“ von Ralf König sowie „Männerpension“ von Detlev Buck malte er die Szenenbilder, „bis ich dann wieder in die Restaurierung zurück gezerrt wurde.“ Bis heute übernimmt er immer mal wieder denkmalpflegerische Aufgaben, wie derzeit im Hasenheyerstift, wo er im Treppenhaus die Malerei von Fritz Rumpf restauriert. „Auch da habe ich ein bisschen Angst, denn es ist eine recht große anspruchsvolle Aufgabe. Ich möchte mich natürlich so gut wie möglich in Rumpfs Handschrift hinein versetzen.“ Auch wenn Jürgen Stragies am liebsten vor Publikum weglaufen würde, ist er am Sonntag empfangsbereit, und wenn alles klappt, verschönern die drei Töchter von Tinka Scharsich mit Cello, Klavier und Gesang die adventlichen Stunden. Neu-Potsdamer ist der sächsische Bildhauer Philipp von Appen, der vor zwei Jahren von Meißen nach Uetz-Paaren zog. Er verließ vor allem aus existenziellen Gründen seinen Heimatort. „Heute kann doch kaum jemand mehr nur von seiner Kunst leben“, und so arbeitete er lange Zeit in Dresden nebenbei als Stuckateur. Doch da die Aufträge immer spärlicher wurden, verließ er sein großes Bauerngehöft und die eigene Galerie und ging ins Märkische. Jetzt hat er sich auf die Sanierung alter Häuser mit Naturmaterialien, insbesondere mit Lehm, eingerichtet. Auch bei der Grabung am Stadtschloss war er beteiligt. „Ich finde Potsdam toll, gerade weil die Nähe zu Berlin so viel Kraft mit rein bringt. In Dresden war alles weniger prickelnd, irgendwie schmort man dort mehr im eigenen Saft.“ Philipp von Appen hat sich als Autodidakt die Kunst erobert. Allerdings wies ihm die eigene Familie den Weg. Der Großvater, Karl von Appen, hat als Bühnenbildner mit Brecht und Weigel das BE aufgebaut, seine Eltern machten sich beide als Bildhauer einen Namen. Er selbst bevorzugt größere Arbeiten in den verschiedensten Materialien, die sich aber fast immer mit dem Thema Mensch auseinander setzen. „Ich verwende alles, was zu bearbeiten geht: Holz, Stein, Beton“ Wenn sich Sonntag jemand in sein gemietetes „wunderschönes altes Fährhaus aus dem Jahre 1835“ nach Uetz-Paaren „verläuft“, kann er dabei sein, wie sich Philipp von Appen mit Kreissäge kraftvoll ins Holz hinein arbeitet. H. Jäger An die 25 Ateliers und Galerien sind am Sonntag von 10 bis 17 Uhr geöffnet. Die genauen Adressen sind in den kommenden Tagen unter www.potsdam.de abrufbar.

H. Jäger

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