Von Klaus Büstrin: Vermenschlicht
Singakademie Potsdam unter der Leitung von Edgar Hykel gab Bachs Mätthäus-Passion im Nikolaisaal
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Johann Sebastian Bachs Matthäus-Passion erklang am Sonntag im sehr gut besuchten Nikolaisaal. In dem „weltlichen“ Konzertraum ist von Mozarts Sinfonien bis Webbers Musical alles zu hören, was an musikalischen Erfindungen erfahrbar ist. Auch die Passionsvertonungen des Thomaskantors. Doch so mancher Zeitgenosse lehnt ihre Aufführung in einem Säkular-Raum ab. Der Dirigent Wilhelm Furtwängler meinte aber: „Überall, wo die Matthäus-Passion aufgeführt wird, ist Kirche!“ Die Qualität von Aufführungen würden dagegen auch unter ungenügender Akustik vieler Kirchen leiden. Die Chöre der Singakademie Potsdam führten gemeinsam mit den Brandenburger Symphonikern Bachs Matthäus-Passion unter der Leitung von Edgar Hykel unter den akustisch guten Gegebenheiten des Nikolaisaals auf.
Ein hartes Stück Arbeit ist das Werk für einen Laienchor, gute drei Stunden lang mit Geist und Fleisch präsent zu sein. Schon dafür gebührt den Sängerinnen und Sängern Respekt. Dirigent Edgar Hykel versuchte von Anfang an, mit „Kommt, ihr Töchter, helft mir klagen“ bis zum Schlusschor „Wir setzen uns mit Tränen nieder“ Spannung und Intensität zu halten. Die Singakademie sang kraftvoll, agierte stets variabel, artikulierte das Wort ganz natürlich, klangschön im Piano wie im Fortissimo.
Edgar Hykel erzeugte die Wirkung dieser größten Passion Bachs, indem er sie vermenschlichte und dadurch die Ungeheuerlichkeit der Leidensgeschichte Christi vergegenwärtigte. Dazu passte die flüssige Erzählweise des Evangelisten (Peter Diebschlag), das Dramatisch-Erregende sowie das Zart-Ruhige der einzelnen Szenen und der meditativen Einschübe. So überfiel beim Chor „Sind Blitze, sind Donner in Wolken verschwunden?“ ein rasantes Tempo die Hörer. Da wirkte die plötzliche Wut über Judas’ Verrat rückhaltlos, ohne dass der in Bestform singende Chor beeinträchtigt war. Da gab es aber auch wunderbare Ruhepunkte: die Abendmahlsszene, der Chor „O Mensch, bewein dein Sünde groß“ oder einzelne Choräle, die Hykel immer ihrem Inhalt entsprechend musizierte.
Mit gewohntem Farbenreichtum und Sensibilität für das Ganze wirkten die Brandenburger Symphoniker an den Orchesterpulten. Ausdrucksdicht setzte das Continuo Impulse, man freute sich an den schwebenden Geigenfiguren, den flexiblen Bläsern und dem warmen Gambenspiel.
Von den Solisten gebührt dem Tenor Peter Diebschlag besonderes Lorbeeren. Mit einem schlanken Ton und einer topsicheren Höhe bewältigte er die Partie des Erzählers. Ihm wurde auch die Gestaltung der Arien seines Stimmfachs übertragen, die er ebenfalls ausdrucksstark sang. Der Bariton Ronald Fenes gestaltete mit großer Ruhe und Leidenschaftlichkeit die Christusworte. Das letzte Essen mit Jesu Jüngern und die Gefangennahme bleiben besonders im Gedächtnis.
Gegenüber den kleineren Partien (Petrus, Judas oder Pilatus) nahm der Bassist Dariusz Siedlik eine Distanz ein. Dagegen wurden die Arien, vor allem „Mache dich, mein Herz bereit“, von dem polnischen Sänger mit Anteilnahme und Klarheit gesungen. Wie auch von der Sopranistin Christine Wolf, die für ihren Vortrag aber erstaunlicherweise eher das Hyperpräsente wählte. Die Mezzosopranistin Ulrike Mayer gestaltete die Arien dagegen zurückhaltender, aber nicht weniger innig.
„Überall wo die Matthäus-Passion auf- geführt wird, ist Kirche“. Der Nikolaisaal wurde es am Sonntag in eindrucksvoller Weise. Nach dem „Ruhe sanfte, sanfte ruh“ des Schlusschores und einer Stille setzte langer und herzlicher Dankesbeifall für alle Mitwirkenden ein.
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