Kultur: Verrat
Susanne Schädlich liest aus „Immer wieder Dezember“
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Es ist eine Geschichte von Verrat und den tiefen Wunden, die solch ein Verrat reißt. Und es ist eine Geschichte über Heimatlosigkeit, die durch diesen Verrat noch verstärkt wird. „Immer wieder Dezember“ hat Susanne Schädlich ihr Buch genannt, in dem sie eine fast schon absurde Geschichte von Verrat und das immer stärker werdende Gefühl von Heimatlosigkeit beschreibt. „Der Westen, die Stasi, der Onkel und ich“, heißt es im Untertitel.
Der Onkel, von dem im Untertitel die Rede ist, hat das schwer Vorstellbare getan. Jahrelang hatte Karlheinz Schädlich als IM „Schäfer“ für die Staatssicherheit gespitzelt, Leute verraten und dabei auch nicht vor seinem Bruder, dem Schriftsteller Joachim Schädlich und dessen Familie Halt gemacht. Joachim Schädlich, der seine Prosa in der DDR nicht veröffentlichen konnte, geriet, nachdem er 1976 die Petition gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns unterschrieben hatte, immer stärker unter Druck. Als im darauffolgenden Jahr im Hamburger Rowohlt Verlag sein Erzählband „Versuchte Nähe“ veröffentlicht wurde, verschärfte das DDR-Regime seine Repressionen gegen den Schriftsteller. Schädlich sah keinen anderen Ausweg und stellte einen Ausreiseantrag. Im Dezember 1977 ging er mit seiner Frau und den beiden Töchtern in den Westen. Erst 1992 erfuhr er aus seinen Stasi-Akten, dass sein Bruder ihn und viele andere aus seinem Freundeskreis, darunter auch den Schriftsteller Günter Grass, bespitzelt hatte.
In „Immer wieder Dezember“ – der Titel bezieht sich auf einschneidende Erlebnisse der Familie, die immer auf den Dezember fielen – erzählt Susanne Schädlich von den Treffen west- und ostdeutscher Schriftsteller in Ostberlin, von der Zeit des erzwungenen Neuanfangs im Westen, diesem Gefühl, nicht anzukommen, nicht dazuzugehören; und von dem Onkel, der trotz angeblicher Repressionen in der DDR zu seinem in den Westen ausgewanderten Bruder hielt, Besuche in Warschau organisierte und sich auch „rührend“ um Freunde und Schriftstellerkollegen aus beiden Teilen Deutschlands kümmerte.
Susanne Schädlichs Sprache ist lakonisch und fragend, gleichzeitig aber auch von den feinen Erschütterungen durchzogen, die der Verrat des Bruders, Schwagers, Onkel und Freundes in der Familie Schädlich anrichtet, obwohl es noch niemand weiß, noch nicht einmal ahnt. Die folgenschwere Erschütterung erreicht die Familie erst im Jahr 1992, als Joachim Schädlich seine Stasi-Akten liest.
Im Dezember 2007 setzt Karlheinz Schädlich seinem Leben ein Ende. Auf einer Parkbank in Berlin erschoss er sich. In den Zeitungsberichten wurde Karlheinz Schädlich danach als „Gentleman IM“ verklärt, der Tweedjackets liebte, ein „Schöngeist, hochkultiviert, ein interessanter Gesprächspartner, der sich mit Literatur und Wissenschaft beschäftigte“. Ein Agent wie aus dem Bilderbuch? Susanne Schädlich erschreckten diese Verniedlichungen dieses Verräters an der eigenen Familie. Ihr Buch zeigt die Abgründe auf, die ein solcher Verrat reißt und lässt nach der Lektüre nicht den geringsten Platz mehr für jegliche Form von Verharmlosungen der Stasi-Vergangenheit. Dirk Becker
Susanne Schädlich liest heute, ab 19 Uhr, im Café der „fabrik“ in der Schiffbauergasse. Der Eintritt kostet 5 Euro. „Immer wieder Dezember“ ist im Droemer Verlag erschienen und kostet 16,95 Euro
Dirk Becker
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