Kultur: „Verschollene Königin“
Lesung des HOT über Sophie Charlotte
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Lesung des HOT über Sophie Charlotte „Edelste. Schönste unter Schönen, des Ersten Königs in Preussen Freud und Lust, des Volckes Lieb und Trost, voll Weisheit und Verstand, der Keuschheit Muster... – nach dieser Grabinschrift zu urteilen, hatte Sophie Charlotte „verdient zu leben hundert Jahr“. Die Schauspielerin und Autorin Uta Sax allerdings nannte die Vielgerühmte, edle Abkunft Welfischen Stammes bis hin zu Elisabeth Stewart, Herrscherin über drei Fremdsprachen und Mitinitiatorin der Berliner Akademie der Wissenschaften, eine „verschollene Königin“, denn anders als Luise lebt sie in den Herzen der Menschen nicht hinfort. Sozusagen „von Frau zu Frau“ recherchiert die Berlinerin das Leben der ersten Grand Dame Preußens. Esther Linkenbach, Anne Lebinsky, Johannes Suhm und natürlich Hans-Jochen Röhrig vom Hans Otto Theater stellten ihr Manuskript am Dienstag im Palais Ritz-Lichtenau als stark gekürzte Lesefassung einem reichlich erschienenen Publikum vor: Der erste Versuch, überhaupt, sich der einzigen Tochter (unter sechs Brüdern) Herzog Ernst Augusts von Braunschweig-Lüneburg und Sophie von der Pfalz dramatisch zu nähern. Ob in der Kürze von neunzig Minuten nun auch die ganze Würze gelegen, lässt sich so wenig beantworten, wie die Frage, ob die literarische Vorlage mehr Schauspiel oder Hörtext sei. Eine szenische Lesung von Qualität im 300. Todesjahr war es allemal, wofür Christian Deichstetter am E-Piano als Musik- und „Geräuschemacher“ wirkte, Lichteffekte für die passende Atmosphäre sorgten, und die Luft im Kaminzimmer trotzdem immer dicker wurde. Keine Ventilation. „Von Frau zu Frau“ heißt Sympathie und offene Parteinahme für jene Hochgeborne protestantischen Glaubens, die alles interessierte, was ihr schön und geistreich erschien, Wissenschaft und Kunst, Philosophie und Aufklärung. Die Autorin stellt Sophie Charlotte, Großmutter Friedrich II., in kurzen Szenen als „lebenshungrige, weltoffene und selbständige junge Frau“ dar. Als Elfjährige war sie am Hof von Versailles, kein Geringerer als Leibniz lehrte sie, philosophisch zu denken. Sie wurde aus machtpolitischen Gründen im 15. Jahr mit dem Kurprinzen Friedrich (III.) von Brandenburg vermählt, doch erst die dritte Geburt, „lustlos und mit Etikette gezeugt“, bescherte dem Paar einen lebensfähigen Stammhalter – Friedrich Wilhelm. Man führte eine „Ehe auf Distanz“. Sophie Charlotte (1668-1705) zog sich auf ihre „Lietzenburg“, heute Schloss Charlottenburg, zurück, wo sie sich mit freigeistigen Gelehrten und Künstlern wie dem singenden und komponierenden Mönch Attilio Ariosti umgab, ein Operntheater baute und kräftig über Gott und die Welt philosophierte, bevor sie 37-jährig in Hannover an den Folgen einer Erkältung verstarb. Sie intrigierte zugunsten ihres Welfenhauses und gegen den Königsberger Danckelmann, bis sie, kluge Entscheidung, die Finger von der Politik ließ; der Hof seinerseits intrigierte wider die von eigener Friedrichs Hand 1701 gekrönte Freigeistin, besonders in Gestalt der zur Mätresse ihres Gatten emporgebuhlten Schankwirtstochter Katharina, spätere Reichsgräfin Kolbe von Wartenberg – ein Luder von Weib, was Anna Lebinsky sehr „dialektisch“ darzustellen wusste. Waren das moderne Zeiten! Johannes Suhm sprach den schwächelnden Kurfürsten, Hans-Jochen Röhrig (Gesamtleitung) einen gütigen Leibniz und OberRaffzahn Kolbe, Esther Linkenbach, mit natürlicher Anmut und einiger Naivität, die Verschollene selbst, „der Tugend rechtes Bild“, was angesichts ihres Tete a tetes mit Ariosti fragwürdig bleibe. Christian Deichstetter hielt die musikalischen Teile dieser Vorstellung (Scarlatti, Bach, Ariosti) kurz, es gab auch nur drei Proben, ausreichend für ein konkretes Bild von Preußens Glanz und Elend, von Politik und Weibersinn, vom verheerenden Einfluss der Philosophie auf die Gesellschaft. Rote Rosen für Uta Sax, jede Menge Beifall für eine schöne Sache. Gerold Paul
Gerold Paul
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