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Kultur: Verschollener Ruhm

Peter Walther erinnerte im Kutschstall an den Foto-Pionier Adolf Miethe

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Gesetzt, es käme jemand auf die Idee, deutsche Städte nach dem Verdienst ihrer eingeborenen Prominenzen zu bewerten, so würde Potsdam gut abschneiden. Die einschlägigen Könige beiseite, hätte „Preußens Hauptstadt“ noch manche Namen aufzubieten. Aber wer kennt heute noch jenen professoralen Physikus und Foto-Chemiker, dessen Sippe sich vor mehr als hundert Jahren besonders einen Namen in der Süßwarenproduktion gemacht hatte? In Halle gründete sie die spätere „Halloren“-Firma, in Potsdam war die erste „Dampfschokoladenfabrik“ Deutschlands nahe der Langen Brücke mit dem Namen der Miethes verbunden. Wo sich später das „Palast-Hotel“ erhob, stand 1862 das Geburtshaus des umtriebigen Erfinders Adolf Miethe, dessen Lebens- und Erfolgsgeschichte am Mittwoch Peter Walther vor etwa zwei Dutzend Hörern zur Begleitung der Ausstellung „Auslöser Potsdam“ im Kutschstall erzählte. Ein Pragmatiker mit technischem wie „verwertendem“ Interesse, denn nach seinen bahnbrechenden Erfindungen auf dem Gebiet der Farbfotografie, speziell beim Konstruieren von Kameras, in der Dreifarbenfotografie und beim Dreifarbendruck, sorgte er dafür, dass seine „Anwendungen“, privat oder im Auftrag, als buntes Sammelbildchen (ab 1906) in Zigaretten- oder Schokotafeln, als Postkarte oder in den ersten kommerziellen Farbfotomappen unter die Leute kamen. Sein Motto: „Aus dem Fortschritt den größtmöglichen Nutzen ziehen“. Er machte die erste Farbaufnahme des Vollmondes, das erste Luftbild aus einem Ballon, er reiste durch deutsche Gaue wie in deutsche Kolonien, um den Daheimgebliebenen in immer besserer Qualität von Land und Leuten zu berichten.

Potsdam verdankt ihm gute Stadtveduten um 1906. Adolf Miethe sei „eigentlich der erste Reporter“ gewesen, der seine Kamera immer zur Hand gehabt hätte, so Peter Walther, und war dazu noch Rektor der einstigen TH in Berlin, der heutigen TU.

Sechzehnjährig baute der Gymnasiast des Viktoria-Gymnasiums sein erstes Objektiv in eine Zigarrenkiste ein, Jahre später experimentierte er mit Magnesium-Blitzlicht, was die Meteorologen anfangs für ein Wintergewitter hielten. Als der wahre Grund herauskam, kommentierte man die Korrektur mit „Unfug Miethe“. 1889 promovierte er zu einem fototechnischen Thema, arbeitete dann in Rathenow und Braunschweig, bevor er 1899 an die TH nach Berlin-Charlottenburg ging.

Wenn die Wurzeln der Farbfotografie auch bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts zurückreichen, so baute Miethe 1899 die erste Schlitten-Kamera, 1903 den ersten Dreifarbenprojektor, verbesserte auch die drucktechnische Wiedergabe seiner „Lichtbilder“ als Alternative zur Autochromie. Der Kaiser war begeistert: An der Qualität dieser Farbaufnahmen sollten die „Auswüchse“ in der zeitgenössischen Malerei genesen, rief er aus. Auch Karl Foerster nutzte das „System Miethe“. Mühelos konnte die Farb-Kinematografie in Agfa-Color an diese Erfindungen anschließen. Er hatte Vorgänger und Mitstreiter (es gab damals Versuche, Szenen aus dem Ersten Weltkrieg mit Stereo-Effekt zu erzeugen), seine als Pracht- oder Volksausgaben publizierten Bücher wurden nie wieder aufgelegt. Adolf Miethe traf den Grafen Zeppelin, lichtete Kronprinz Heinrich auf Spitzbergen ab, beschäftigte sich kurz vor seinem Tod sogar mit der Transmutation von Quecksilber in Gold, doch sein Ruhm ist verschollen. Das Miethesche Familiengrab befindet sich auf Potsdams Alten Friedhof, aber keine Grabplatte erinnert an den 1927 verstorbenen Foto-Pionier. Gerold Paul

Gerold Paul

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