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Ausdrucksstark. Die Kammerakademie Potsdam hat sich in vier Tagen durch Beethovens Sinfonien musiziert.

© Andreas Klaer

Kultur: Verspannung ist ein Fremdwort

Der Beethoven-Marathon mit der Kammerakademie Potsdam ging in die zweite und dritte Runde

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Ein großes Kulturereignis: Vier Tage lief das anspruchsvolle Projekt „Alles Beethoven!“ der Kammerakademie Potsdam und ihres Dirigenten Antonello Manacorda im Nikolaisaal. Am Donnerstag waren zum Auftakt des Beethoven-Marathons die Sinfonien 1 bis 3 zu hören gewesen. Manch selten gehörte Nebenstimme wurde da freigesetzt, die langsamen Sätze kammermusikalisch gespielt, doch artikulatorisch und dynamisch musste man teilweise extreme Übertreibungen über sich ergehen lassen. Geformt wurde an diesem ersten Abend noch ein aggressiver Beethoven mit dem Hang zum Cholerischen.

Die Vierte und Fünfte

Am Freitag dann ein entspannter Dirigent, ein wie umgewandelter Klangkörper. Nun standen die Sinfonien 4 bis 5 an. Mit bedeutend mehr Feingefühl für die musikalisch-thematische Arbeit gingen die Musikerinnen und Musiker zu Werke. So wurde den beiden Sinfonien ein frischer und kraftvoll-gesunder Duktus verliehen.

Die 4. Sinfonie in B-Dur aus dem Jahre 1806, die nicht von bekenntnishaften Ideen belastet ist, steht immer noch – völlig zu Unrecht – im Schatten der berühmteren Schwesternsinfonien 3 und 5. Das Hausorchester des Nikolaisaals machte mit einer bewegenden Interpretation auf dieses viel zu selten gespielte Werk aufmerksam. Wunderbar, wie es bei der Einleitung die tastende, wie auf schwankendem Grund voranschreitende Harmonik mit ihren geheimnisvollen Passagen musizierte. Wie nebenbei, im zügigen Tempo, kam der Übergang zum Hauptteil geschmeidig-unspektakulär zustande. So setzte sich die helle und unbeschwerte Bewegtheit des Allegro gut zum dunklen Beginn ab. In raschem Tempo wurde es in den Raum gestellt, jedoch nicht mit expressiver Überfrachtung. Das anschließende Adagio nahm mit akzentfreudiger, aber gesanglicher Phrasierung für sich ein, mit lebendiger Wechselrede der Instrumente und lebhaft ausformulierten Kontrasten. Vital erklangen dann das spukhafte Scherzo (Menuetto) sowie das stürmische Finale. Die Musikerinnen und Musiker spielten sich unter der anfeuernden Leitung von Antonello Manacorda die Bälle zu, mit Lust und virtuosem Vermögen. Hierbei wurde klar, dass ohne ein ständiges „Vorwärtsprügeln“ und ein ewiges „Vor-sich-her-hetzen“ durch den Dirigenten eine runde Wiedergabe zustande kommen kann. Verspannung wurde zu einem Fremdwort.

Nach der Pause das berühmte „Ta-ta-ta-daa“. Die Fünfte hatte das Sagen. Das Motiv veranlasste Beethoven zu dem gern zitierten Satz: So pocht das Schicksal an die Pforte. Aufgrund dieser nicht nachweisbaren Anekdote wurde der Fünften, in c-Moll 1806/08 komponierten Sinfonie, der Beiname „Schicksalssinfonie“ gegeben. Intonationsrein und äußerst lebendig wurde das so oft gehörte Opus durch die Kammerakademie musiziert. Auch Goethe hatte nach dem Hören eine Äußerung parat: „Das ist sehr groß, ganz toll, man möchte fürchten, das Haus fiele ein!“ Nun, der Nikolaisaal fiel nicht ein, aber die große Kraft dieser Musik wurde eindrucksvoll gezeigt, doch mit kontrollierter Ekstase. Die Interpretation war durchdacht und die klangliche Balance perfekt, vom pochenden Anfangsmotiv an über das wunderbar langsame Andante con moto im zweiten Satz bis hin zum brillanten Schluss.

Die Sechste und Siebente

Beethoven war ein Freund des Wanderns, ein guter Beobachter der Natur. „Ist es doch“, so notierte er, „als ob jeder Baum zu mir spräche auf dem Lande; heilig, heilig! Im Walde Entzücken! Wer kann alles ausdrücken?“ Er jedenfalls konnte es. In der „Pastorale“, der Sinfonie Nr. 6. Sie stand als erstes Werk am Samstag auf dem Programm. Jeder der fünf Sätze trägt eine Beschreibung als Schlüssel zum Ausdruck der Musik, ein „Programm“. Beim Kopfsatz, der das „Erwachen heiterer Gefühle bei der Ankunft auf dem Lande“ hervorrufen will, wurde man der farbenfrohen musikalischen Einfälle Beethovens gewahr, denn die Kammerakademie erfreute dabei durch die vielen subtilen Klangnuancen. Die solistisch sehr geforderten Bläser demonstrierten eine unglaubliche Leichtigkeit, und die Streicher zeigten, dass ihr Klang wunderbar variabel sein kann. Entspannung allenthalben. Auch bei der „Szene am Bach“, wenn sich Vogelstimmen eitel vordrängen wollen, die Nachtigall, die Wachtel und der Kuckuck. Doch dann wird man herausgerissen aus dieser heiteren Idylle: Ein Gewitter zieht auf. Manacorda inszenierte natürlich heftige Winde, furchterregende Blitze und Donner, wie man es sich nur in der Musik wünscht. Diese Pastorale-Interpretation war nicht mit belastenden Kitsch oder Schmalz, mit Heimatfilm-Anklängen belastet, der Gesamtklang nie matschig oder undurchsichtig. Es stellten sich warme Frühlingsgefühle an diesem Februarabend ein.

Die Siebte, in A-Dur geschrieben (1811/12), ist ein Fest hitzigster Steigerungen und herber Extreme. Für viele Beethoven-Bewunderer die Lieblingssinfonie. Im ersten Satz dominiert nach einer monumentalen Einleitung das rhythmische Element. Tänzerische Taktarten, Ostinati, Synkopen, aufsteigende Tonleiter und Steigerungsstrecken halten das Geschehen in ununterbrochener Bewegung. Dies hat zu Etikettierungen zwischen „Apotheose des Tanzes“ (Richard Wagner) und „Irrenhaus“ (Carl Maria von Weber) geführt. Natürlich gab es bei Manacorda keine bedächtige Gangart, auch nicht beim dunklen Nachtmarsch oder beim verspielten Scherzo. Das Allegro con brio geriet, wie erwartet, zu einer ekstatischen Orgie. Das Finale ist bekanntlich ein Prüfstein orchestraler Brillanz. Es wurde von den Musikerinnen und Musikern der großartigen Kammerakademie mit Schwungkraft und rhythmisch markant vorgetragen. Die Hörer brachen wie meist nach der Siebten in Jubel aus.

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