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Kultur: Verstrahlt und vergessen

Ökofilmtour 2007 mit Filmen zur Atomenergie

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Nur einmal in zwei Millionen Jahren könne sich so ein Unfall ereignen, sagt die Statistik. Und doch hat er bereits stattgefunden, noch nicht mal ein halbes Jahrhundert nach Beginn der friedlichen Atomenergienutzung. Gemeint ist die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl, die 1986 die ganze Welt mit den vernichtenden Folgen von Atomkraft konfrontierte. Seitdem sind mehr als zwanzig Jahre vergangen und vor allem bereits abgeschriebene Atomkraftwerke (AKW) erzeugen nicht nur in Deutschland scheinbar billigen Strom.

„Atomenergie – Retter des Klimaschutzes?“ war das Filmgespräch am Dienstagabend anlässlich der diesjährigen Ökofilmtour im Haus der Natur überschrieben, zu dem der ehemalige Atomkraftmanager und jetzige Kritiker Prof. Klaus Traube und das Ehepaar Boll aus Krümmel eingeladen worden waren. Vorab gab es die Filme „Und keiner weiß warum“ von Barbara Dickmann und Angelica Fell und „Verstrahlt und vergessen“ von Christoph Boekel zu sehen. Beide Filme beziehen sich auf das gleiche Jahr. Boekel dokumentiert aus sehr persönlicher Sicht die Schicksale von Augenzeugen des damaligen sowjetischen Supergaus. Die beiden Regisseurinnen hingegen wenden sich einer deutschen Katastrophe zu.

Nur fünf Monate nach Tschernobyl, am 12. September 1986, gab es im deutschen AKW Krümmel ebenfalls Alarm wegen erhöhter Radioaktivität. Auch in der benachbarten Forschungsanlage GKSS Geesthacht wurden erhöhte Werte festgestellt. Als allerdings vier Jahre später die ersten von bisher 16 Leukämiefällen bei Kindern diagnostiziert wurden, und Betroffene und engagierte Bürger begannen, nach den Ursachen für eine der weltweit höchsten Erkrankungsraten gerade in diesem Raum zu forschen, verliefen ihre Anstrengungen immer wieder im Sande. Feuerwehr-Unterlagen verbrannten, Labors weigerten sich, Bodenproben zu untersuchen und Verantwortliche versuchen, das Ereignis vom 12. September bis heute unter den Teppich zu kehren. Die Brisanz der Problematik erschließt sich, wenn man beide Filme gesehen hat.

In ihnen wurde auf sehr unterschiedliche Art deutlich, dass die unsichtbare und unhörbare Gefahr, die von großen Mengen freigesetzter Radioaktivität ausgeht, vor allem denen zu schaffen macht, die um die Folgen nicht wissen. Seien es die zu Tausenden „verheizten“ Freiwilligen in der damaligen Sowjetunion, die beispielsweise wie der ehemalige Soldat Dima noch kurz vor Beendigung ihres Wehrdienstes nach Tschernobyl geschickt wurden und unter Einsatz ihres Lebens, das Schlimmste für ganz Europa verhinderten. Oder seien es Bürger, die in der Nähe von Atomanlagen leben und die keine Gewissheit darüber haben, wodurch Dachstühle radioaktiv verseucht, Bäume verstrahlt oder Chromosomenveränderungen hervorgerufen wurden.

Den Filmemachern ist es sehr eindringlich gelungen, zu zeigen, wie unwägbar selbst die Risiken der friedlichen Nutzung der Atomkraft sind. Und auch im anschließenden Gespräch wurde deutlich, dass die Atomenergie weder das Weltklima von schädlichen Emissionen entlasten noch mit ihren strahlenden Abfällen wirklich preiswert sein kann. Der Widerstand gegen Laufzeitverlängerungen von alten AKW ist mit den Jahren immer leiser geworden und auch am Dienstagabend sahen nur etwa zwei Dutzend Besucher die sehr emotional berührenden Filme. Astrid Priebs-Tröger

Astrid Priebs-Tröge

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