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Kultur: Verwerfungen

Bernd Wulffen sprach über Kuba im Umbruch

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Die Feierlichkeiten zum 50. Jahrestag der Revolution auf Kuba Anfang dieses Jahres hatten einen deutlichen Paradigmenwechsel angezeigt. So wurde auf opulente Militärparaden verzichtet. Es gab kaum ausländische Gäste, vielmehr eine Feier „im engsten Familienkreis“. Diese Veränderung wäre ein sichtbares Zeichen des Machtwechsels von Fidel zu Raúl Castro, erklärte Bernd Wulffen am Dienstag in der Landeszentrale für politische Bildung. Der ehemalige Botschafter der Bundesrepublik Deutschland auf Kuba, der seit seiner Pensionierung in Berlin und Argentinien lebt, schrieb 2006 und 2008 die Bücher „Eiszeit in den Tropen – Botschafter bei Fidel Castro“ und „Kuba im Umbruch – von Fidel zu Raúl Castro“. Über beide Publikationen, erschienen im Christoph Links Verlag Berlin, referierte er.

Die politischen Verwerfungen der 50-jährigen uneingeschränkten Macht Fidel Castros wären noch heute unübersehbar: Dogmatismus, Entwicklungs- und Reformresistenz, ineffiziente Kolchoswirtschaft, Tatenlosigkeit, mangelnde demokratische Freiheiten, Verarmung, Repressalien gegen Oppositionelle. Trotz aller Mängel stehe die Bevölkerung grundsätzlich hinter der Revolution. Seit der Staatsgründung stand der pragmatische Raúl an der Seite seines charismatischen Bruders. Immer war er in dessen Schatten und sorgte für Ausgleich und Konsens in schwierigen Situationen. Folge man den Thesen des Soziologen Max Weber zu den Phänomenen der charismatischen Herrschaft, so müssten die Nachfolger ihre Macht in der Verankerung der Institutionen suchen, folgerte Wulffen. Im Falle Raúl Castro bedeutete das eine Machtfestigung von Partei und Militär. Bereits in den 80er Jahre begann Raúl Castro auf Kuba Reformen einzuleiten. So wurden vom Militär geleitete Betriebe seither nach modernem Management geführt. Die in den 90er Jahren eröffneten Bauernmärkte tragen deutlich zu einer verbesserten Versorgungssituation der Bevölkerung bei. Nach dem Machtwechsel wurden viele kleine Schritte eingeleitet, die in Richtung einer liberaleren Wirtschaft gehen. Wulffen bezeichnet diese Neuerungen als „kontrollierte Evolution“.

So können die Bauern neuerdings Land hinzu erwerben. Handys und Computer können gekauft werden. Eine öffentliche Dialogplattform ermöglicht der Bevölkerung ein Mitspracherecht. Obwohl ein minimaler wirtschaftlicher Aufschwung zu verzeichnen ist, bleibt der finanzielle Spielraum eng, da Kuba im Ausland stark verschuldet sei. Eine gewisse Vorbildwirkung haben China und Vietnam, die ebenfalls unter sozialistischen Bedingungen marktwirtschaftlich orientiert sind. Die neue US-Regierung erwecke große Hoffnungen. Erstmals könnte ein politischer Dialog Kubas mit dem mächtigen Nachbarn in Gang kommen, um beispielsweise das Embargo aufzuheben. Neue Öl- und Gasvorkommen im Golf von Mexiko könnten möglicherweise in Zukunft gemeinsam gefördert werden, so Wulffen.

In der anschließenden Gesprächsrunde wurde nach dem Generationsverhältnis gefragt. Wulffen verwies auf die Diskrepanz zwischen der Revolutionsgeneration und der Jugend. Die junge Generation würde sich die Bevormundung durch den Staat weniger gefallen lassen und stärker an demokratischen Freiheiten und materiellem Wohlstand interessiert sein. So ist es nicht verwunderlich, dass viele Oppositionelle und Flüchtlinge junge Kubaner sind. Ein mögliches Hoffnungspotential, denn die Jugend wird nach Ansicht des Autors kein „Geisterhaus“ mehr dulden. Barbara Wiesener

Barbara WiesenerD

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