Kultur: Vier Hände – eine ganze Welt
Am Wochenende zeigen Andrew Dawson und Sven Till in der fabrik „Quatre Mains“
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Hände sprechen ihre eigene Sprache. Mal ballen sie sich wütend zur Faust, dann wieder gleiten sie sanft durch die Luft. Unbewusst formulieren wir mit ihnen Nachdruck, Enttäuschung, Freude, Schmerz. „Ein ganzes Welttheater kann man mit ihnen kreieren“, behauptet der britische Regisseur und Mime Andrew Dawson und schuf gemeinsam mit dem Belgier Jos Houben das Stück „Quatre Mains“: die vier Hände. Mit ihnen erzählten sie in 15 Bildern die ganze Evolution. Kein Thema war ihnen dabei zu groß.
Seit ihre Finger die Miniaturbühne in Form eines Schreibtisches beseelten, sind zehn Jahre vergangen. Die Erinnerung an den „Bilderrausch“, wie die PNN diesen „Handstreich“ damals beschrieb, lebt indes weiter. Denn bei Andrew Dawson flatterte kürzlich eine Einladung ins Haus: vom renommierten Theater UCLA aus Los Angeles. Doch Andrew hatte mit dem für Dezember veranschlagten Angebot zur Wiederaufnahme des Stücks ein Problem: Seinem Partner waren gerade durch andere Arbeiten die Hände gebunden. Also besann er sich auf das gestische Vokabular des Tänzers Sven Till von der Potsdamer fabrik, mit dem er bereits als Regisseur zu „Pandora 88“ und dem Kleist-Stück „Do you want to die with me“ zusammenarbeitete. Sven Till zögerte nicht lange und schlug in die ausgestreckte Hand von Andrew ein, schließlich befand er schon zur Potsdam-Premiere, dass Quatre Mains die Qualität eines Klassikers besitze.
Nun also gestalten ihre vier Hände am Wochenende in der fabrik – als „Vorspiel“ zu Los Angeles – das visuelle Gedicht, das in einer losen Strophensammlung vom Reichtum des Lebens erzählt. Auf neue, aber wiederum spielerisch einfache Weise. Denn Finger sind nicht gleich Finger. Sie können Mann und Frau sein, die eine Nacht miteinander verbringen und sich dann wieder trennen. Oder aber der kleine Clown, der zu laufen lernt. Quatre Mains erzählt viele kleine Episoden, bilderbogenartig mit Humor und Melodramatik. Der Ausspruch des Philosophen Ludwig Wittgenstein: „Wie schwierig ist es zu sehen, was genau vor meinen Augen ist?“, durchzieht dabei das Geschehen. „Wie funktioniert Wahrnehmung? Was sehe ich wirklich?“, sind Themen, die die beiden Darsteller in die Hand nehmen. Dabei ist natürlich das Publikum als Mitgestalter gefordert. „Die Story ist schwarz-weiß, aber der Zuschauer fügt seine eigenen Farben hinzu“, so Andrew Dawson. Um dem Geschehen auf der Mini-Bühne folgen zu können, brauche niemand intellektuelles Wissen. Allein ein offener Blick sei vonnöten. Die naive, kindliche Betrachtung gehe oft tiefer als der verstellte Blick eines Erwachsenen, so die Erfahrung des britischen Performers, der inzwischen von den einfachen Fragen und Erklärungen seiner eigenen Kinder immer wieder überrascht wird.
Für Sven Till ist dieses gestische Theater kein Neuland. „Die Hände haben im Tanz eine große expressive Wirkung, ohne dass man sich dessen immer bewusst ist. Sie sind ein Teil von uns und entfalten doch ein ganz eigenes Leben, die Erinnerungen in sich tragend.“ Heidi Jäger
Quatre Mains, Samstag, 12. Juli, 20 Uhr, sowie 13. Juli, 16 Uhr, fabrik, Schiffbauergasse. Morgen anschließend Konzert mit dem Duo Hand in Hand.
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