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Von Dirk Becker: Vier Saiten und ein dicker Hals

Weil Claudia Mende eine frühe Barockvioline brauchte und Tilman Muthesius kein Leihinstrument wollte, wurde selbst gebaut

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Es hätte alles ganz einfach sein können. Für das Konzert „Duetti furiosi“ im Kammermusiksaal „Havelschlösschen“ hätte sich Claudia Mende eine entsprechende Geige geliehen, wie sie es schon während ihres Studiums der Barockvioline in Leipzig getan hatte. Aber diese Art von „ganz einfach“ mag Tilman Muthesius überhaupt nicht.

Als ihm Claudia Mende den Vorschlag mit dem Leihinstrument machte, hatte sie ihn, bewusst oder unbewusst, bei seiner Instrumentenbauerehre gepackt. Nichts gegen den Kollegen, der das entsprechende Instrument gefertigt hatte, das Claudia Mende für das Konzert nutzen wollte. Aber warum borgen, was er selbst machen kann, war die Frage, die Tilman Muthesius sofort beschäftigte. Im vergangenen November hatte er die Potsdamerin Claudia Mende gefragt, ob sie zusammen mit dem Berliner Lautenisten Andreas Arend in der Reihe „Kammermusik im Havelschlösschen“ ein Programm mit Violinenmusik aus dem frühen 17. Jahrhundert spielen würde. Sie sagte zu, wies aber gleichzeitig darauf hin, dass sie ein dieser Zeit auch entsprechendes Instrument braucht.

Spricht sie jetzt von diesem Instrument, ist da sofort ein schwärmerischer Ton in ihrer Stimme. „Da öffnet sich ein ganz anderer Horizont“, sagt Claudia Mende. Fleischig und warm sei der Klang, groß und rau. Ganz anders als der liebliche und schöne Klang, den man von den späteren Barockviolinen kennt.

Auf den ersten Blick sieht diese Geige aus, wie eine Geige halt aussehen muss. Korpus, Hals und Kopf mit den Wirbeln, Griffbrett, Saitenhalter, vier Saiten. Und unwillkürlich fragt man sich als Laie, ob sich dieser ganze Aufwand überhaupt lohnt. Ob für dieses Programm mit Stücken von Cima, Uccellini und Fontana nicht eine der üblichen Barockgeigen gereicht hätte. Aber dann fängt Tilman Muthesius, der sich auf den Bau von historischen Streichinstrumenten spezialisiert hat, die im Gegensatz zu modernen nicht mit Stahl-, sondern mit Darmsaiten bespannt werden, an zu erklären und es öffnet sich ein Horizont.

Muthesius zeigt den Hals, der im Vergleich zu späteren Barockviolinen und vor allem im Vergleich mit modernen Instrumenten regelrecht klobig wirkt. Das Griffbrett ist viel kürzer und auch der Steg, die kleine Holzbrücke auf der Decke, über dem die Saiten verlaufen, steht ziemlich weit hinten. Und dann die tiefste Saite. Die ist nicht wie bei den späteren Instrumenten mit Draht umsponnen, sondern aus Darm. „Dadurch ist die Saite auch fast doppelt so dick wie üblich“, sagt Muthesius. Ein regelrechter Strick, der wohl nur schwer zum Schwingen gebracht werden kann.

Das war eine der Überraschungen, die Tilman Muthesius erlebte, als die Geige unter dem Bogenstrich von Claudia Mende zum ersten Mal erklang. Die tiefe Saite hatte Farbe und genug Potenzial für spielerische Gestaltung. Bisher hieß es, dass diese tiefe G-Saite nur gelegentlich als Klangtupfer genutzt wurde. Einfach zu dicker Darm. Die konnten es damals nicht besser, so die landläufige Meinung. Der Eigenversuch in seiner Werkstatt hat Muthesius gezeigt, dass sie es doch und sehr gut konnten.

Ein leichtes, ungläubiges Kopfschütteln zeigt Muthesius, wenn er noch einmal an den Entstehungsprozess dieser Geige erinnert. Zeit hatte er für dieses Experiment im Grunde nicht. Ein kompletter Satz historischer Streichinstrumente musste bis zum Ende des vergangenen Jahres fertiggestellt werden. Und im Januar warteten schon die nächsten Aufträge auf den bekannten Gambenbauer, der in Klein Glienicke neben seiner Werkstatt als leidenschaftlicher Musiker zusammen mit der Gambistin Christiane Gerhardt die Reihe „Kammermusik im Havelschlösschen“ organisiert und auch selbst finanziert. Mittlerweile im vierten Jahr. Trotzdem schob Tilman Muthesius mit seinem Mitarbeiter Sebastian Mende, Ehemann von Claudia Mende, dann Sonderschichten für den Bau der frühen Barockgeige ein.

„Ich wusste ja, dass sich Sebastian mit diesen Instrumenten schon seit längerer Zeit beschäftigte und vorhatte, auch eine solche Geige zu bauen.“ Also setzten sie sich eine Frist von vier Wochen. Sie nutzten Abbildungen aus historischen Geigenschulen, aber vor allem Gemälde und Zeichnungen aus der Zeit für die Recherchen über Korpusform, Halslänge und -breite und all die weiteren Details. Im Gegensatz zum heutigen Instrumentenbau, wo die gewölbte Decke und der gewölbte Boden aus jeweils einem Stück Holz geschnitzt, in der Fachsprache „gestochen“, wird, haben sie hier das Holz unter Wärmeeinfluss gebogen. „Damals war das Material viel wertvoller. Man ging sparsamer damit um“, sagt Muthesius.

Damals, im 16. Jahrhundert, entstanden die ersten Geigen in der bis heute bekannten Form in Italien. Bevor Cremona durch die Geigenbauerfamilien Amati, Guarneri und Stradivari zu dem Zentrum für den Instrumentenbau wurde, gingen die maßgeblichen Impulse von der Geigenbauschule in Brescia aus. Meister wie Gasparo da Salò prägten die Violine in der Form, wie sie Tilman Muthesius und Sebastian Mende nun rekonstruiert haben. Es war eine Zeit, als dieses Streichinstrument nicht mehr allein für die Tanzmusik genutzt werden sollte, sondern auch als Soloinstrument in der ernsthaften Musik Einzug hielt. Mit dieser Entwicklung und neuen Kompositionen stieg das Niveau und die Virtuosität und entsprechend auch die Anforderungen an das Instrument. Es war dann Antonio Giacomo Stradivari, der im 17. Jahrhundert der Geige mit schlankem Hals, längerem Griffbrett und kleinerer Korpusgröße die bis heute gültige Form gab. Das Wissen um die Anfänge des Brescianer Stils ging schon bald verloren.

In den vergangenen Jahren hat es viel Bewegung in Sachen historischer Instrumentenkunde und der entsprechenden Aufführungspraxis gegeben. „Vor 30 Jahren wurde noch belächelt, wer sich auf historische Instrumente spezialisierte“, sagt Tilman Muthesius. Mittlerweile öffnen sich jetzt auch Universitäten für neue Erkenntnisse. „Das fängt schon damit an, wie der Bogen gehalten wurde.“ Das „alte“ Instrument aus seiner Werkstatt ist erst ein paar Wochen alt, da gibt es schon Interesse von der Leipziger Universität. Und auch Anton Steck, einer der renommiertesten Barockgeiger in Deutschland und Professor an der Musikhochschule in Trossingen, will diese Geige aus der Potsdamer Werkstatt unbedingt anspielen.

Für Claudia Mende war der Klang dieses Instruments so überzeugend, dass sie es gleich zu Aufnahmen für ein neues Album mitnahm. „Man sagt ja, dass ein neues Instrument eine gewisse Einspielzeit braucht, eh es sich entfaltet. Aber hier war der Klang gleich da.“ Dann will sie noch einmal diesen spezifischen Klang in Worte fassen, überlegt einen Moment und sagt dann nur: „Diese Geige muss man einfach hören.“

„Duetti furiosi“ am Donnerstag, 4. März, um 20 Uhr im Kammermusiksaal Havelschlösschen, Waldmüllerstraße 3. Karten zum Preis von 25 Euro können reserviert werden unter Tel.: (0331) 748 14 96

Dirk Becker

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