
© Andreas Klaer
Kultur: Volljährig
Die Kunstschule Potsdam wurde 18 und feiert sich mit einer Ausstellung: Es ist die 195. auf dem Weg zum Erwachsensein
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Es gibt nicht immer ein Oben und Unten, doch immer ein Geradeaus. Die Bilder an den Wänden greifen der Zeit voraus. Wie sehe ich aus, wer bin ich, wenn ich 18 werde, fragten sich die Mädchen und Jungen der Kunstschule und malten sich mit Hackenschuhen, Katze, Pferd und Peace-Zeichen. Manche sehen sich mit der Gitarre über die Bühne rocken, andere versuchen wissbegierig die Welt unter einem Mikroskop zu entschlüsseln. Die Kunstschule feierte am Wochenende ihren 18. Geburtstag und triumphierte: „Wir sind volljährig“. Bei den meisten Schülern ist es bis dahin noch ein weiter Weg, doch der scheint buntgepflastert und voller Phantasie.
Wie immer in den Ausstellungen der Kunstschule – und das sind mittlerweile 195! – regiert der Wagemut. Die kleinen Künstler füllen unverkrampft großformatige Flächen mit ihren Bildgeschichten. Wie die zehnjährige Leonora, die sich mit Abendkleid und hohen schwarzen Pumps vor einer schwarzen Limousine malt, auf dessen Rücksitz ein dicker Hund durch die Scheibe schaut. Die siebenjährige Kaya malte einen riesigen roten Tisch. Das daran sitzende Mädchen erreicht nicht mal mit ihrem Schopf die Tischkante. So klein kann man sich fühlen. Die junge Frau ihr gegenüber hat indes einen freien Blick auf den mit Früchten reich gedeckten Tisch. Kaya mit 18?
Von den derzeit 160 eingeschriebenen Schülern sind rund 70 Arbeiten zu sehen: Zeichnungen, Collagen, Malerei, Plakatentwürfe, in Ton geformte Geburtstagskrüge und auch kreativ gebaute Objekte, die an Segelschiffe erinnern, mit denen die Kinder in die See der Erwachsenenwelt stechen können – und immer wieder den sicheren Hafen ihrer Kunstschule erreichen, um neu aufzutanken. Wie der 85-jährige Konrad Tybus, für den das Babelsberger Kulturhaus stets eine feste Adresse geblieben ist. „Gerade unsere Senioren verpassen fast nie ihren Kurs“, sagt Thea Moritz, die Geschäftsführerin. „Für viele ist es der wichtigste Termin der Woche.“ Die älteren Herrschaften haben der Geburtstagsschau zwei große „flackernde“ Bilder mit zig gelb-rot-blau-grünen Quadraten beigefügt, aus deren Mitte beim genauen Hinsehen eine 18 hervorlugt. Es erinnert an die Tafeln zum Feststellen der Sehschärfe beim Augenarzt.
Eben eine andere Erfahrungswelt als die der Fünf- bis Siebenjährigen, die aus Pappmaché ein quirliges Vogelnest bauten, in dem die ersten Jungen gerade flügge werden und aufgeregt der Eigenständigkeit entgegenflattern. Die Kunstschule jedenfalls ist längst flügge geworden. Was die Begründer Monika Olias, Christa Panzner und Wilfried Statt vor 18 Jahren angeschoben haben, ist mittlerweile auf den Schultern von zehn Lehrern unter der künstlerischen Obhut von Peter Bause gut verteilt. „Trotz aller Volljährigkeit wollen wir uns bemühen, nicht allzu sehr erwachsen zu werden“, sagt Thea Moritz. Stattdessen soll es weitergehen ohne Leistungsdruck und Vorgaben, mit der Phantasie als Kompass. So lässt es sich munter fabulieren in dem roten Backsteinhaus mit seiner großen Treppe, die sich in den Augen der siebenjährigen Frieda auch von außen gut sichtbar in die Höhe wendelt. „Die Kunstschule ist toll, da lernt man viel,“ weiß auch Susan. Niemand ist dabei ausgeschlossen. Auch sogenannte benachteiligte Kinder und Jugendliche können ihre Stärken in Formen und Farben fließen lassen. Begriffe wie Oben und Unten haben da keinen Platz. Gerade in der Kunst lassen sie sich bestens auf den Kopf stellen.Heidi Jäger
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