Kultur: Voltaire und Die beste aller Welten „Candide“ bei der Märkischen Leselust
Als Autor ein Genie – als Mensch nur ein Schurke? Solche Konstellationen in einer Natur sind gar nicht selten.
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Als Autor ein Genie – als Mensch nur ein Schurke? Solche Konstellationen in einer Natur sind gar nicht selten. Friedrich II. urteilte jedenfalls so über Francois-Marie Arouet, der sich ab 1718 Voltaire nannte. Preußens Haupt und Krone beherbergte diesen Jesuitenzögling und Mitglied des aristokratischen Temple-Kreises, Großgrundbesitzer und Vordenker der Aufklärung, bekennender Optimist einer „vernünftigen Welt“ und erbitterter Feind seiner Lehrer – zwischen 1750 und 1753 in Potsdam und Berlin.
Fünf Jahre später erschien der kleine Roman „Candide oder der Optimismus“ anonym in Paris, Frucht dieser fruchtlosen Freundschaft mit dem „roi philosophe“, zugleich ein Reflex auf das Lissabonner Erdbeben von 1755 mit sechzigtausend Toten. Kann Voltaires Lebenswerk auch über 700 Titel vorweisen, so hat gerade dieses Buch merkwürdigerweise bis heute eine zentrale Stellung. Wer aber hätte schon Leibnizens „Theodizee“ gelesen, wer könnte auf Anhieb den Theismus vom Deismus unterscheiden, um zu ermessen, in welcher Dimension diese Prosa umherirrt?
„Candide“ wurde als poetisch verbrämte Antithese in einem Intellektuellen-Streit geschrieben. Leibniz behauptete nämlich in seinem Hauptwerk, Gott habe die „bestmögliche aller Welten“ geschaffen, was der sophistische Voltaire mit Hilfe seines weltumgreifenden Sujets nach dem Prinzip „was ich suche, das werde ich auch beweisen“ widerlegen wollte. „Candide“ wurde nun im Rahmen der Matinee „Märkische Leselust“ im neuen Theater auf drei halbe Stunden vorgetragen. Lehrreich führte Knut Kiesant (Universität Potsdam) in die verzwackte Materie Voltairescher Vernunft ein, die Schauspieler Caroline Lux und Peter Wagner lasen, Erik Kross gab ein paar Takte „auf historischen Instrumenten“ dazu. Trotz massiver Unterstützung durch die Voltaire-Schule konnte das Erlebnis nicht zufrieden stellen, aber dafür war es auch lange nicht mehr so voll im halligen Foyer.
Voltaire, in Preußen hemmungslos intrigierend, spekulierend und denunzierend, konstruiert mit dem scheinbar einfältigen Candide und der adligen Unschuld Kunigunde ein durchgehendes Handlungspaar, welchem, tot und auferstanden, der eingefleischte Leibnizeraner Pangloß zur Seite gestellt wird. Die unübersichtliche Fabel verläuft sich zwischen Europa, Paraguay, Eldorado und Konstantinopel, zwischen Kultur und Barbarei. Letztlich stellt der spitzfindige Autor immer wieder die Frage, wie es denn käme, dass in „der besten aller möglichen Welten“ so viel gehauen und gestochen wird. Tja, wer Bibel und Sohar ablehnt und nur die irdische Kausalität gelten lässt, dem bleibt solch“ Geheimnis auch heute verborgen! Nach der ungeheuren Arbeit von König Zufall einigt man sich letztlich, dass es besser sei, den Garten zu bestellen als nur zu philosophieren. Arbeit als Heilmittel gegen Spekulation – mal ein vernünftiger Gedanke von Voltaire!
Technisch gesehen war die Sache nicht toll. Was Caroline Lux an Ausdruck und fast babylonischem Sprachgefühl zu viel hatte, das gab Peter Wagner zu wenig. Konzeptionell stand Voltaires Prosa vorn, nicht seine Philosophie, auch personell blieb er vor Fridericus. Gar nicht einzusehen, der Preuße wusste schon, warum er dessen „Charakter“ am liebsten ins Zuchthaus schicken wollte. Was also kann man von einem „Schurken“ und Spötter erwarten, der „Aufklärung“ predigt, als Grundbesitzer aber sorgsam achtet, dass nichts davon sein Gesinde erreicht? Er hat die Welt gewiss nicht besser gemacht. Gerold Paul
Gerold Paul
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