Kultur: Vom Grasausreißen im Gänsesommer
Elke Erb las im Café Heider aus ihrem Buch „Gänsesommer“ / Neue Lesereihe begonnen
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Elke Erb las im Café Heider aus ihrem Buch „Gänsesommer“ / Neue Lesereihe begonnen Über dem Gastraum des Cafés Heider liegt ein Salon mit dunkelroten Wänden und Perserteppich. Man erreicht den Raum über eine Treppe hinter der Bar. Früher fanden dort hin und wieder Kulturveranstaltungen statt. Oder der Salon wurde als Erweiterung des Gastraumes verwendet. Doch seit einiger Zeit liegt der Eckraum verlassen da. Niemand schaut aus ihm hinunter auf die Friedrich-Ebert-Straße oder den Platz vor dem Nauener Tor. Als die Potsdamerin Patricia Vester mit dem Wunsch auftrat, die verlorene Tradition wiederzubeleben, wurde ihr der stimmungsvolle Raum großzügig überlassen. Zweimal im Monat soll es nun die „Kultur im Café“ geben. Eröffnet wurde die Reihe am Gründonnerstag mit einer Lesung der Berliner Autorin Elke Erb. Es war ein kleiner Kreis von acht Leuten, die sich im Dämmer um den Lesetisch versammelt hatten und den Gebrauch des Mikrofons überflüssig machten. Kerzen auf den Tischen, ein gelber Schein vom beleuchteten, leeren Gläserregal und ein orangener von den Straßenlaternen vor den Fenstern. Als säße sie in ihrem Wohnzimmer, mit der Zigarette zwischen den Fingern, umriss Elke Erb zunächst ihre Biografie. 1938 in einem Dorf in der Eifel geboren, gingen die kommunistischen Eltern mit ihr 1949 in die DDR. Mit einem warmen Lächeln erzählte Elke Erb, dass sie sich von der schulischen Indoktrination bei anschließender Landarbeit und von der Tätigkeit im parteitreuen Verlag in der Nervenklinik erholt habe. Um dann 1966 freiberuflich und langsam zur Autorin zu werden: „Das Herauskriechen aus der vermittelten Sprache, die wir alle sprechen – das dauert lange, bis da was eigenes rauskommt.“ Und dann begann Elke Erb zu lesen. „Gänsesommer“ ist ihr jüngster Band, der letzten Monat bei dem schweizer Kleinverlag Urs Engeler Editor erschienen ist. Lyrik und Prosa wechseln einander ab: „Nur Lyrik, das schaffe ich nicht.“ Lyrik sei so etwas wie das Kunststück in der Zirkusmanege, das aber von einem Auf- und Abtritt umrahmt werde. Was die komprimierte Form der Texte bei einmaligem Lesen nicht preisgab, erläuterte Elke Erb bereitwillig, denn „sonst haben Sie nicht genug davon, nicht?“ Es sind Assoziationen, Gedanken und Kindheitserinnerungen, die durch irgendetwas unerwartet ausgelöst werden und die Elke Erb beschreibt. Plötzlich das Geräusch einer Gras rupfenden Kuhherde in ihrem Kopf und wie sich dieses Geräusch von dem Grasausreißen durch eine Hand unterscheidet. Oder der Griff in die Erde bei monotoner Gartenarbeit, der sich unvermittelt heiß, weich, wild anfühlt. „Miteinander blicken Schrank und Kommode wie steif und fest behaupteter Glaube.“ Und dieser Anblick ruft die Erinnerung an einen Schlehenbusch aus der Kindheit wach: „Besser man blickt auf die Schlehen, die stehen und blühen.“ Die überraschenden Wege der Gedanken und die Problematik, diese Wege zu beschreiben, wiederzugeben: „warum spricht man nicht so, wie man denkt bei sich:/ flugs, andeutend, aber zielstrebig/ konzentriert, aber weich“ „und wäre ein Denkprozess so beschreibbar, und man beschriebe ihn so – fände er sich diffamiert.“ Den ruhigen freundlichen Ausführungen von Elke Erb könnte man lange zuhören. Sie lässt einen mit der Lyrik nicht alleine, sondern erläutert, wie sie dazu kam, die Texte zu schreiben und was ihr an ihnen wichtig ist. Auch die Herkunft des Wortes „Gänsesommer“ erläuterte sie, das die etymologisch genaue Übersetzung des englischen Wortes „gossamer“ (Altweibersommer) ist. Es sei der andere Blick, das andere Denken der älteren Generation, dass sie interessiere, sagte die 34-jährige Organisatorin Patricia Vester. Ihr schwebt das Etablieren eines Leseortes vor, an dem beispielsweise Literatur über Potsdam gelesen und besprochen werden kann. So soll sich die „Kultur im Café“ nicht an ein junges Publikum wenden, wie die Lesebühne „Papierpiloten“ im Waschhaus, an deren Organisation Patricia Vester auch beteiligt ist. Sondern sie soll zu einem Leseort mit – dem Ambiente des Raumes entsprechend – „seriöserem Charakter“ werden. Dagmar Schnürer „Kultur im Café“ wieder am 14. April 2005 um 20 Uhr. Elke Erb „Gänsesommer“, Urs Engeler Editor 2005, 144 Seiten, 17 Euro.
Dagmar Schnürer
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