Kultur: Vom großen Glück des Malens
Umfangreiche Kunst-Ausstellung für Karl Raetsch im Alten Rathaus
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Umfangreiche Kunst-Ausstellung für Karl Raetsch im Alten Rathaus Der Strom der Potsdam-Besucher drängt sich täglich wohl zu Hunderten bis zu Tausenden durch die historischen Gärten und die Räume der Schlösser. Doch eine museale Stadt ist noch keine lebendige Kunststadt. Zu solcher gehört der schöpferische eigene Beitrag der Zeit und ihrer Zeitgenossen. Das Schmerzliche in Potsdam ist, dass es ihr nicht an schöpferischen Künstlern gebricht, sondern dass der Malerschaft bis heute keine annehmbaren städtischen Ausstellungsräume zur Verfügung stehen. Natürlich gibt es das Alte Rathaus, in denen die Künstler der Landeshauptstadt sich hin und wieder präsentieren dürfen, vor allem, wenn Jubiläen anstehen. Auch im Pavillon auf der Freundschaftsinsel. Aber diese Häuser müssen auch für andere Ausstellungsvorhaben der Stadt in Bereitschaft sein. Der Potsdamer Maler und Grafiker Karl Raetsch betrachtete das Fehlen einer Kunsthalle stets als ein großes Manko, ja Ärgernis, in der Kulturpolitik der Stadt. Für sich, seine Frau, die Malerin Barbara Raetsch, und für seinen Sohn Bruno, der bildhauerisch tätig ist, hat er auf Hermannswerder eine leerstehende Friedhofskapelle als Atelier und Ausstellungsraum, ausgebaut. Hier konnten und können die Raetschs, trotz erheblicher Ärgernisse in der Vergangenheit in puncto Eigentumsfragen, ihre Kunst bekannt machen. Und doch sehnte sich auch Karl Raetsch immer wieder danach, seine Malerei in einer Galerie in der Stadt einem großen Publikum zu zeigen. Dies war ihm, um nicht ungerecht zu sein, eher vergönnt gewesen, als so manchem seiner Potsdamer Kollegen. Seit gestern ist im Alten Rathaus eine große Ausstellung mit Werken von Karl Raetsch zu erleben. Der Brandenburgische Kulturbund e.V. hat in Zusammenarbeit mit der Stadtverwaltung Potsdam die Schau anlässlich des 75. Geburtstages des Malers und Grafikers am 1. Oktober initiiert und organisiert. Nun ist sie jedoch als eine Gedenk-Ausstellung für einen markanten Künstler, der in Potsdam lebte und arbeitete, gewidmet. Karl Raetsch, der aus Fürstenwalde/Spree stammt, starb nach schwerer Krankheit im vergangenen Jahr. In der Zurückgezogenheit und Stille von Hermannswerder entstanden wohl fast alle Bilder der vergangenen 25 Jahre Jahre. Dort reflektierte er über das Zeitgeschehen Potsdams und darüber hinaus, zumeist in einer fast erschreckenden Schärfe. Doch er genoss stets das große Glück des Malens. In seinen letzten Lebensjahren bevorzugte er aber das Aquarellieren. Alte märkische Dorfkirchen entstanden mit Wasserfarben auf Papier. Sie zeigen bei aller beherrschten Form eine heitere Gelöstheit. Hier findet sich die Leichtigkeit, die Karl Raetsch bei seinen Ölbildern so bravourös erreichte, wieder. Die erlesenen Aquarelle mussten jedoch wegen des Platzmangels die Ausstellung wieder verlassen. Zu sehen ist dennoch eine Fülle von Arbeiten, erste, die Ende der fünfziger Jahre in Potsdam entstanden sind, als Raetsch nach einem Studium bei Erich Fraas und Paul Michaelis an der Dresdner Kunsthochschule die Stadt an der Elbe mit der an der Havel tauschte, bis zu denen, die er bis zu Beginn unseres Jahrhunderts auf der Insel malte. Zunächst wandte er sich einzelnen Straßen und Plätzen Potsdams zu. Er porträtierte sie mit der Ölfarbe, mit all ihren Narben, ihrer Morbidität. Er wollte und konnte nicht schönfärben. Obwohl man im Leben immer Kompromisse machen muss, sein gerader und aufrechter Charakter hätte falschtönende Idealisierung nicht zugelassen. Und dennoch strahlen diese Bilder eine atmosphärisch impressionistische Dichte aus, weil Raetsch sie von innen heraus gemalt hat, die einstigen und wertvollen Schönheiten der Stadt erkennbar machend. Vielleicht wären viele der heute wieder hergestellten Häuser für den Maler nicht so interessant. Das Glatte war nämlich nicht seine Welt. Dies sieht man auch seinen Porträts an, denen er sich immer wieder zuwandte. Manche der Porträtierten oder die staatlichen Auftraggeber für Bildnisse sahen sich jedoch nicht so bzw. teilten dem Künstler mit, dass der Dargestellte nicht mit der tatsächlichen Person übereinstimme. So musste Karl Raetsch beispielsweise 1986 nach der Fertigstellung des Bildes „LPG-Vorsitzender Klocke“ Kritik von der SED-Kreisleitung Nauen einstecken, die meinte, der Genosse Klocke sei auf dem Gemälde zu einer Karikatur geworden. Der Künstler malte ihn natürlich so, wie er ihn sah, nicht, wie die SED ihn sehen wollte. Der LPG-Vorsitzende, geschmückt mit einer überdimensionalen Brille, erscheint als Machtmensch, als Herrscher über sein Dorf. Übrigens soll der Dargestellte das Bild nicht bekrittelt haben. Herr Klocke findet sich im Alten Rathaus mit einer Reihe weiterer Porträts wieder, an der Seite des kantigen Melkermeisters Fritz Taulin (1986) sowie an der des in die Länge gezogenen und hellwach dreinschauenden Dr. H.J.G (1992). Immer wieder weckt das Ölbild „Geburtstagsrunde“ aus den siebziger Jahren besonderes Interesse. Der Kundige entdeckt auf ihm Potsdamer Malerkollegen und deren Frauen: Wolfgang Wegener, Peter Rohn, Christian Heinze, Gottfried Höfer, Barbara Raetsch. Der Künstler porträtierte sich auf dem Gemälde auch selbst. Mancher von ihnen weilt nicht mehr unter den Lebenden. Die Ausstellung wartet mit weiteren Selbstbildnissen auf, von 1957 und 1991. Es sind zwei stille Bilder. Aus dem älteren Gemälde schaut uns ein neugieriger junger Mann an, am jüngeren scheint das Ungestüme einer großen Nachdenklichkeit gewichen zu sein. Selten malte Raetsch Menschen in ihrem Milieu, vor der Kulisse ihrer Arbeit, wenn man einmal von dem fast zur Unkenntlichkeit gezeichneten „Mann mit Presslufthammer“ (1987) absieht. Dem Maler war nicht der äußere Schein seiner Menschendarstellung wichtig, sondern er artikulierte die Personen, wie die jeweilige Gesellschaft, in der sie leben, ihre Persönlichkeit beeinflusste. Beispielsweise in „Die Würdigung“ (1984): vor einer immer kleiner werdenden Frau, die eine Auszeichnung erhält, türmen sich zwei Obrigkeiten, unnahbar, arrogant und dümmlich dreinschauend. Von solchen Personendarstellungen ist es nicht weit, in denen Raetsch die Menschen als Marionetten wahrnahm, das Geschehen um ihn herum nur als Theater beobachtete: das Komische menschlicher Situationen und das Groteske im oftmals törichten stadtpolitischen Treiben, vor und nach der Wende. Es entstanden eine Reihe streng stilisierter Bilder, denen eine aggressive Überhöhung eigen ist. „Behörde“ (1989) heißt solch eine Arbeit. Aus dem Gemälde schaut ein hoch dekorierter Chef, um ihn herum eilen Angestellte mit Aktendeckeln, Aktenberge, „Menschen“, die kopflos sind, mit Brettern vor Gesichtern, Holzköpfe. So manch hektisch Getriebener weiß aber auch nicht, wo ihm der Kopf steht. Und alle tragen Schranken unter ihrem Arm. Eine „Welt“ der Beschränktheit. 1994 malte Raetsch Behörde II. Ähnlichkeiten scheinen nicht zufällig zu sein. Richter ,Verantwortliche, ein Dezernator, Soldaten aus unseligen Zeiten kommen in den Bildern vor, bissig satirische Anspielungen sind dabei selbstverständlich. So sah Raetsch in „Anflug“ böse Geister über Potsdam (1995). Doch auch in liebenswerte und heitere Themen konnte sich Karl Raetsch Gottseidank hinein vertiefen, beispielsweise in den zauberhaften Farbholzschnitten zu Grimm’schenMärchen. Mit ihnen schließt sich der Bilder-Kreis dieser Ausstellung wieder versöhnlich. Ausstellung Karl Raetsch. Bilder aus fünf Jahrzehnten, Altes Rathaus, 18. 9., Di-So. 11-18 Uhr, Katalog.
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