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Kultur: Vom härteren Kaliber

Ex-Rockhaus-Sänger Mike Kilian im Waldschloss

Stand:

Ex-Rockhaus-Sänger Mike Kilian im Waldschloss Auch der härteste Bursche, wir wissen es schon längst, ist ganz tief drinnen ein lieber Kerl. Harte Schale, weicher Kern, dass diese Kalenderweisheit ihre treffendste Entsprechung noch immer im Rockgeschäft findet, zeigte sich im Waldschloss. Mike Kilian, Sänger von Rockhaus, der wohl wandlungsreichsten jungen Band in der DDR, war mit drei Kollegen gekommen. Und plötzlich, zwischen seinen rockgeballten Eigenkompositionen, ein kurzes Medley mit Beatlesliedern. Da war selbst Bassist Jäcki Reznicek überrascht. So war es auch geplant. Denn Reznicek, lange Zeit Mitglied bei East Blues Experience und die wohl sympathischste Persönlichkeit, die je einen Bass in der Hand hielt, hatte Geburtstag. Und er, bekennender Beatle-Fan, saß dann etwas hilflos, aber selig grinsend auf einem Stuhl und genoss das Geburtstagsständchen „Yesterday“. Balladen gab es dann an diesem Abend noch einige zu hören. Doch allzu weich mochte es Mike Kilian dabei auch nicht. Seine markante Stimme ist reinstes Organ, das sich am wohlsten in den lautstarken Bereichen fühlt. Und es war vor allem diese Stimme, die Rockhaus den individuellen Stempel aufdrückte. 1981 gegründet, erschien zwei Jahre später das Debüt „Bonbons und Schokolade“. Das Cover zeigte vier Jungspunde hinter einem riesigen Berg Bonbons, die es faustdick hinter den Ohren hatten. Und mag mancher heute den Kopf über die doch etwas profanen Texte schütteln, Lieder wie „Bonbons und Schokolade“ und „Disko in der U-Bahn“, die sich am englischen New Wave orientierten, machten Rockhaus zu einer erfolgreichen Band. Mit ihrem dritten Album „I.L.D.“ waren die vier Musiker dann endlich beim Rock angekommen. Die Gute-Laune-Texte vom Debüt waren ernsthafteren Themen gewichen, aus den fröhlich-frechen Burschen waren trotzige Rebellen geworden. Die Wende ein Jahr später bedeutete dann auch für Rockhaus einen tiefen Einschnitt. Noch bis 1998 blieben sie zusammen, dann kam die Trennung. 2002 erschien Kilians erstes Soloalbum „Immer anders“. Auch wenn der Titel das Gegenteil suggeriert, Kilian ist sich treu geblieben. Er macht noch immer Rockmusik des härteren Kalibers. Überzeugend und mit Leidenschaft, wie er es den knapp 30 Gästen im Waldschloss bewies. Vor kleinem Publikum zu spielen, für Kilian scheint es kein allzu großes Problem zu sein. Denn lieber spiele er vor 20 Leuten, die zuhören, als vor 100 Besoffenen. Die Anwesenden hatten verstanden und gaben lautstark das zurück, was Kilian mit seinen Musikern auf der Bühne vorgaben. Kraftvoll und dank der Lautstärke auch sehr druckvoll für die Trommelfelle ließen Kilian und Band den Rock an langer Leine toben. Aufhorchen ließen vor allem zwei Lieder, die im kommenden Jahr auf einem neuen Album erscheinen sollen. Denn hier zeigte Kilian, dass er nach all den Jahren nicht einfach nur das Niveau hält, sondern immer noch etwas drauf zu setzen weiß. Und die manchmal etwas sehr Keith Richards ähnlichen Bewegungen beim Gitarrenspiel von Kilian, waren dann wohl als augenzwinkernder Hinweis auf eines seiner zahlreichen Nebenprojekte zu verstehen. Denn der umtriebige Kerl mimt Mick Jagger und Keith Richards in einer Person in der Rolling Stones Coverband mit dem netten Namen „Starfuckers“. Ohne Nostalgie wurden einige Lieder aus Rockhaus-Tagen gespielt. Und was Kilian aus den alten Nummern rauszuholen weiß, das zeigte er mit „Mich zu lieben“ vom Album „I.L.D.“. Satt und kraftstrotzend – mit jedem Akkord wurde dem dankbaren Publikum hier kräftig eins übergebraten. Und das Ohrenklingeln danach, es wird nicht allein der gutgemeinten Lautstärke geschuldet sein. Dirk Becker

Dirk Becker

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