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Premiere im Thalia: „Der Wert des Menschen“: Vom Markt zermürbt

Das Hemd nicht zugeknöpft, die Haltung zu krumm, die Ausstrahlung zu distanziert, die Endsilben zu verschluckt. Es sind strenge Worte, die der Protagonist in Stéphane Brizés Film „Der Wert des Menschen“ über sich ergehen lassen muss.

Von Sarah Kugler

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Das Hemd nicht zugeknöpft, die Haltung zu krumm, die Ausstrahlung zu distanziert, die Endsilben zu verschluckt. Es sind strenge Worte, die der Protagonist in Stéphane Brizés Film „Der Wert des Menschen“ über sich ergehen lassen muss. Und er lässt sie über sich ergehen. Stumm, sogar noch mit einem freundlichen Lächeln im Gesicht. Nur die immer glasiger werdenden Augen zeigen die aufsteigende Resignation, die Müdigkeit und die Verzweiflung darüber, nicht mehr in die Maschinerie der Arbeitswelt zu passen. Das Potsdamer Thalia Kino hat „Der Wert des Menschen“ am Dienstag – vor der offiziellen Kino-Premiere im März – gezeigt. Ab Mitte April beschäftigt sich das Kino im Rahmen des Festivals „Futurale“ ohnehin tiefer mit der Zukunft der Arbeit.

Jetzt also „Der Wert des Menschen“: Der französische Originaltitel „La Loi du Marché“ bedeutet so viel wie „Das Gesetz des Marktes“. Das sagt es schon relativ deutlich: Was der französische Regisseur hier mit kargem, fast emotionslosem Kamerablick darstellt, ist eine Maschinerie. Und zwar eine, die sich unaufhörlich weiterdreht, sich kontinuierlich neu erfindet und den Menschen als Individuum irgendwo hinter sich zurücklässt.

Thierry Taugourdeau (Vincent Lindon) ist eines dieser Individuen. 51 Jahr alt, Familienvater, gelernter Maschinist - und seit zwanzig Monaten arbeitslos. Eine lange Umschulung zum Kranführer bringt keinen Erfolg und Vorstellungsgespräche per Skype laufen ins Leere. Doch die Familie muss den Kredit für die Eigentumswohnung abbezahlen, der behinderte Sohn braucht besondere Unterstützung. Obwohl er sichtlich ausgebrannt ist, gibt Thierry nicht auf, nimmt an allen Maßnahmen des Arbeitsamtes teil. Als er endlich einen Job als Kaufhausdetektiv findet, scheint sich alles zum Guten wenden. Doch bald schon sieht er sich Regeln unterworfen, die ihn ein moralisches Dilemma stürzen.

Es dauert lange, bis Brizé seinen Protagonisten eine neue Stelle finden lässt. So lange, dass fast die Frage aufkommt, wo dieser Film eigentlich hinführen soll. Denn zunächst sehen die Kinobesucher Thierry dabei zu, wie er Tanzstunden mit seiner Frau nimmt, mit der Familie zu Abend isst oder Schulprobleme seines Sohnes bespricht. Dazwischen endlose Auswertungsgespräche von Bewerbungsgesprächen, Streitgespräche mit Kollegen, die die Firma verklagen wollen und Termine in der Bank. Die Kamera ist immer dicht dran am Darsteller Vincent Lindon, der für seine Leistung im Wettbewerb des Cannes Festivals 2015 als bester männlicher Hauptdarsteller ausgezeichnet wurde. Fast schon dokumentarisch zeichnet der Film seinen Weg ab, immer einer gewisse Distanz wahrend, die nie zeigt, wie es eigentlich in Thierry selbst aussieht. Keine Wutausbrüche, keine Tränen. Es ist nur immer wieder sein Blick aus diesen tiefen, müden Augen, der zeigt, dass der Franzose keine Kraft mehr hat. Dass er nur sein Leben ohne finanzielle Sorgen führen möchte. Einzig an einer Stelle, als die Familie ihr Wohnmobil verkaufen muss, glühen Verzweiflung und Wut auf. „Ich bin nicht als Bettler hier“, wirft er dem Käufer entgegen, als der den Preis drücken will. Ansonsten aber lernt der Zuschauer Thierry, den Menschen hinter dem Arbeitslosen, kaum kennen.

Genau deshalb packt einen „Der Wert des Menschen“, genau deshalb erschreckt er einen so. Thierry ist hier nur einer von vielen. Austauschbar in den mahlendenden Zahnrädern des Arbeitsmarktes, in denen nur überlebt, wer funktioniert. Sein individueller Wert oder der des Personals, das er als Detektiv überwachen muss, spielt dabei keine Rolle. Das wird etwa deutlich, wenn die Bankangestellte ihn zu einer Lebensversicherung zu überreden versucht. Dann wäre die Familie zumindest im Fall seines Ablebens versorgt. Geld ersetzt Mensch. Das System läuft weiter – auch ohne das Individuum. Sarah Kugler

„Der Wert des Menschen“ läuft ab dem 17. März im Kino.

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