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Kultur: Vom menschlichen Zwiespalt

Das Ensemble RotoZaza mit dem Stück „Doublethink“ bei Tanztagen

Das Ensemble RotoZaza mit dem Stück „Doublethink“ bei Tanztagen Es braucht etwas Zeit, bis die Frau und der Mann auf der Bühne die Regie über sich selbst an die Stimme aus dem Off abgeben. Man sieht die Skepsis in den Augen der Frau, als sie die Anweisungen der Männerstimme hört. Sie grinst, zögert einen Moment, bevor sie macht, was „er“ verlangt. „Stell dir vor, das Publikum wäre ein Spiegel, lächele in den Spiegel.“ Der Mann steht auf der anderen Seite der Wand. Er kann die Frau nicht sehen. Sein Gesicht ist verschlossen, eine freundliche Maske. Er konzentriert sich, setzt um, was das aus den Boxen schallende Über-Ich fordert. Eine Frau, ein Mann, eine Wand dazwischen, eine Stimme aus dem Off, ein Techniker und eine Technikerin, die zwischen Bühne und Zuschauern sitzen und das Stück mit Licht, Ton und Requisiten (Glühbirnen, Whiskeyflaschen, Papier, weiße Overalls) steuern. Aus diesen Zutaten hat der britische Regisseur Ant Hampton (29) mit seinem Ensemble RotoZaza das englischsprachige Stück „Doublethink“ gebastelt, das am Samstag und Sonntag zum Abschluss der Tanztage in der Russenhalle zu sehen war. Dabei herausgekommen ist eine Geschichte über den menschlichen Zwiespalt, sich zu entscheiden und über sich selbst zu bestimmen - oder als gefügige Marionette durch die Welt zu wandern und sich von außen (dem Publikum, der Stimme aus dem Off, den Technikern oder sonst jemandem) steuern zu lassen. Was so schön bequem und reibungslos sein kann, wenn man sich erst einmal daran gewöhnt hat, aber ein böses Ende nehmen kann. Trotz detailliertem Drehbuch, sind die Fäden, an denen die Darsteller gezogen werden, locker gespannt. Die Frau und der Mann haben viel Raum, um die vorgegebenen Rollen zu füllen. Und gerade ihre individuellen Reaktionen und die zufälligen Interaktionen mit dem Publikum machen das Stück so spannend. Kaum schnell genug können die Blicke der Zuschauer von der einen Seite der Bühne auf die andere Seite wandern. Was macht die Frau, was der Mann? Es macht Spaß zu vergleichen, festzustellen wie unterschiedlich sie sich in Szene setzen, wie sie stehen, lächeln, Aufgaben lösen. Cool, wie sie die Zeilen aus dem Brief vorträgt, zeitgleich rezitiert er mit Pathos. Sie stellt sich in die Ecke ihres Raumes, hier fühlt sie sich am ehesten zuhause. Er bevorzugt die Mitte. Spaß macht es zuzusehen, wenn auf der Bühne etwas schief geht. Die Frau ist da besonders talentiert. Sie hat ein Händchen dafür, versehentlich Glühbirnen am Boden zu zerschmettern. Das ist ihr, beim ersten Mal zumindest, sichtlich peinlich und bringt den Ablauf etwas durcheinander. Das Publikum lacht, der Mann auf der anderen Seite der Wand wundert sich, denn er sieht nicht, was drüben passiert, hört nur splitternde Scherben, Lachen im Publikum. Dann plötzlich der Stromausfall. Ein Knall, Stille, hektische Techniker, die versuchen, alles in Ordnung zu bringen. Doch die Stimme aus dem Off ist unwiederbringlich. Die Techniker selbst müssen nun das Zepter in die Hand nehmen. Schnell werden sie zu strengen Über-Ichs. Am Anfang geht alles gut, doch schon bald wendet sich das Blatt. Die beiden Ersatz-Dirigenten sind überfordert. Das Instruieren funktioniert nicht mehr reibungslos, die Darsteller werden widerspenstig. Das neue Über-Ich verliert die Kontrolle, holt sie sich zurück. Ein Wechselspiel. Chaos. Als Zuschauer ist es nicht leicht am Ball zu bleiben. Wer gibt wem Anweisungen, wer bestimmt die neuen Regeln? Sind die Frau und der Mann inzwischen eingeweihte Mitwisser des Stücks, das sich plötzlich zu verselbstständigen droht? Dann geht alles ganz schnell, der letzte Befehl, mit dem die Techniker die ganze Welt zum Stillstand bringen wollen. Gewalt, Tod, Ende. Hemmungslos steuern sie das Ziel an. Das nächste Szenenbild: Technikerin und Techniker sitzen zärtlich aneinandergelehnt in der Mitte der Bühne. Laute rockige Musik, Rauch, der sich über den Boden schlängelt. Die Frau und der Mann wippen wie ein Hintergrundchor von einem Fuß auf den anderen. Stille. Sie wippen weiter. Das Licht geht unerwartet aus und wieder an. Die Darsteller verbeugen sich. Schon Ende? Die zwei Paare als Schlussbild – in doch noch harmonisch-kuscheliger Eintracht? Oder ist alles vorbei, das Ende da, die Figuren irre geworden? Die Zuschauer stutzen einen Augenblick, bevor sie den vier Schauspielern ihren verdienten Applaus geben – für ein lange spannendes Stück, das zum Schluss hin allerdings (vielleicht gewollt) erzählerisch verschwimmt. Die Geschichte wird verworren und schwammig, entgleitet dem Zuschauer. Dabei war am Anfang alles so schön klar, intelligent gemacht, das Publikum ganz nah dran am Stück. Man ist versucht, sich eine Stimme aus dem Off zu wünschen, die Sinn in das spätere Bilderchaos bringt. Marion Hartig

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