Kultur: Vom Rand her
Der Lyriker Lutz Rathenow liest heute in Potsdam
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Der Titel klang abgeklärt. Er war ein Schrift gewordenes Schulterzucken eines Mannes, der die Verhältnisse längst durchschaut und die Wut der Erkannten zu spüren bekommen hat. „Mit dem Schlimmsten wurde schon gerechnet“ war der erste Gedichtband von Lutz Rathenow betitelt, der 1980 nur im Westen des geteilten Deutschlands erschienen war. Für die DDR-Oberen, dessen Bürger Lutz Rathenow war, ein Affront, den sie nicht ungesühnt lassen konnten, nicht wollten. Zum wiederholten Male wurde Rathenow verhaftet. Und zum wiederholten Mal ließ sich der Lyriker nicht beugen.
Am heutigen Mittwoch liest Lutz Rathenow im Truman-Haus aus seinem jüngsten Gedichtband „Gelächter sortiert“. Von Handys, die in einer Winternacht leuchten, erzählt der 57-Jährige. Vom Stierkampf in Sevilla, von den „wässrigen Rändern von Berlin“ und von Friedhöfen. Rathenows kurze Gedichte, die beim ersten Lesen fast notizenhaft erscheinen, erzählen oft vom Abschied und vom Tod, von der Vergeblichkeit und Vergänglichkeit. „Die Friedhöfe zerstreut in alle Winde. / Sammelt einer die Asche ein? / Das Licht wechselt mit den Erfahrungen, / die Erfahrungen mit den Staaten - / gerade drehte einer durch und verschied“, wie es in „Aussichten“ heißt.
Der in Berlin lebende Rathenow ist ein Lyriker der stillen Worte und stillen Momente. Er ist der Beobachter, den man schnell übersieht, weil er sich am Rand hält, aber ganz genau beobachtet. Er ist ein Lyriker der feinen Melodien, die erst beim zweiten oder dritten Lesen erklingen. Und mit diesen Melodien öffnet sich der Raum ganz weit, der in diesen Gedichten verborgen liegt.
Lutz Rathenow war ein Unbequemer in der DDR, der sich an diesem Unrechtsstaat abarbeitete, sich dabei aber nicht verbiegen und auch nicht vertreiben ließ. Ein Unbequemer ist er noch heute, weil er die Vergangenheit nicht ruhen lassen will. Ein Land, in dem die Vergangenheit gern schnell entsorgt werden soll und unbequeme Fragen zur Stasi mittlerweile etwas Anrüchiges zu haben scheinen, braucht Stimmen wie die von Lutz Rathenow. Still, aber hartnäckig. Dirk Becker
Lutz Rathenow liest heute, 19 Uhr, im Truman-Haus, KarMarx-Straße 2, aus „Gelächter sortiert“. Der Eintritt ist frei
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