zum Hauptinhalt

Kultur: Vom Staube entstaubt

Georg Kreislers Ein-Frau-Musical „Heute Abend: Lola Blau“ mit Maria Kwiatkowsky im Walhalla

Stand:

Im Moment befindet sich die Bühnenkunst in Potsdam in einem Zustand der Gerinnung und Festigung. Vieles konzentriert sich in der Schiffbauergasse. Man kann diese Konzentration als Chance begreifen, wie das Walhalla. Das Restaurant mit kleiner Bühne und breitgespanntem Eventangebot hat sich mit geschicktem Programm mittlerweile interessante Nischen erschlossen. Eine dieser Trouvaillen ist die Off-Off-Inszenierung „Heute Abend: Lola Blau“. Ein Ein-Frau-Musical aus der Feder des großen Georg Kreisler, inszeniert von einer kleinen und jungen Truppe aus Berlin mit Wurzeln in der Ernst-Busch-Schauspielschule. Es mag verwundern, aber Kreisler, der 1922 in Wien geborene Komponist, Wortakrobat und Texter sprachwitziger und -bissiger Lieder, ein Vorbild jedes klassischen Kabarettisten, Schöpfer von „Taubenvergiften im Park“, darf immer noch als „lebende Legende“ bezeichnet werden. Das Schicksal der jüdischen Schauspielerin und Sängerin Lola, die in die USA emigrieren muss, hat Kreisler 1971 für seine Frau Topsi Krüger geschrieben. Es könnte seine eigene Fluchtgeschichte sein. Kreisler lebte lange in den USA, nahm dort die Staatsbürgerschaft an und kehrte erst im gesetzten Alter nach Österreich zurück.

„Lola Blau“ besitzt daher einen kummervollen Grundton, den die Interpretin Maria Kwiatkowsky mit ausgeprägter Verzagtheit und Trauermiene aufnimmt. Diese Lola ist nicht der explosive Bühnenfeger, den der NS-Terror kaum von den Brettern zerren kann, sondern eher die schüchterne Anfängerin, das nirgendwo zuhause ist, auch nicht auf den Bühnen dieser Welt. Das von der gebürtigen Potsdamerin Steffanie Doehle inszenierte Kammerstückchen besteht aus einer Folge von Kreisler-Liedern, die von kurzen Überleitungen recht locker zusammen geklammert werden. Während die Brüchigkeit von Kwiatkowskys Stimme, in der das Görenhafte und Frivole der Berliner Goldenen 20er Jahre stets mitschwingt, die Zeitlosigkeit und Kunstfertigkeit der Kreisler-Texte zu steigern versteht, scheinen die wenigen Sprechpassagen darstellerisch etwas begrenzt. Die Handlung muss in einem Ein-Personenstück naturgemäß von außen herangetragen werden. Darum bedient sich diese Lola so oft des einseitigen Telefongesprächs oder liest ihre Post laut vor.

Kwiatkowskys Erscheinung ist burschikos, ihr Vortrag zerbrechlich und so klar, dass dem Zuhörer die Meisterschaft von Kreislers Kompositionen gewahr werden kann. Eine Mischung aus rhythmischen Salonvariationen, die Martin Busch am Klavier mit angenehmer Diskretion beherrscht, und furioser Reimkunst. Mag sein, dass die Lieder klingen, wie aus dem vergangenen Jahrhundert. Es sind Klassiker. Texte wie „Man muss den Männer sagen, dass sie klug sind“ oder „von Beruf: Dame“, „dem zweitältesten Frauenberuf auf der Welt“, entsprechen nicht unbedingt moderner Geschlechterauffassung, sie zeugen doch von allgemeingültiger Menschenkenntnis und Sprachkunst. Als Beispiel für Kreislers unermüdliche Wortspiele ein Liebeslied von Lola an ihren Verflossenen Leo: „Ich hab dich zu vergessen vergessen, ich wollt in deinem Dasein stets da sein, du hast dich aus dem Staube gestaubt.“ Nach Stationen der Flucht, die Lola über die Schweiz mit dem Schiff in die Vereinigten Staaten bringt, kehrt sie nach dem Krieg ziemlich ernüchtert heim. Dort, auf einem Vorspieltermin, versucht sie es dem Regisseur recht zu machen: „Ja, Herr Direktor, nein, Herr Direktor, klar, Herr Direktor.“ Kreisler hat in sein Stück auch seine jahrzehnte lange Bühnenerfahrung mit viel Ironie eingebracht.

„Heute Abend: Lola Blau“ ist als eine unverstaubte Verbeugung an Georg Kreisler und jugendliche Interpretation eine Empfehlung für alle, die in der Stadt nach alternativen Gerinnungsfaktoren im Theaterblut suchen.

Matthias Hassenpflug

Nächste Vorstellung: 29. 9, 20.30 Uhr

Matthias Hassenpflug

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })