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Von Christina Siegfried: Vom Überflieger zum Meister

Eine Ausstellung über den Pianisten und Komponisten Wilhelm Kempff im Kutschstall

Stand:

„Stürmische, nicht endenwollende Ovationen begrüßten Wilhelm Kempff, als er das Podium des Nikolaisaals betrat. In ihm verehren die musikliebenden Potsdamer einen der größten Söhne ihrer Stadt.“ Mit diesen Worten begann ein Kritiker seinen Bericht über das erste Nachkriegskonzert des Virtuosen am 28. August 1947 im Nikolaisaal. Ein denkwürdiger Abend auch für den Künstler, der sein Konzert „zum Besten des Wiederaufbaus der St. Nikolaikirche“ gab. Es dürfte ein für alle Seiten emotional bewegendes Erlebnis gewesen sein. Nicht ohne Grund, hatte doch Kempff zuvor 40 Jahre in Potsdam gelebt und gewirkt.

In Potsdam und von hier als Ausgangspunkt für seine weltweite Karriere durchlief er alle Stationen vom jugendlichen Überflieger hin zum Meisterpianisten. Er wurde eine Symbolfigur des 20. Jahrhunderts – in seinem einzigartigen Künstlertum, seinem riesigen Erfolg als Pianist, in seinem Hadern mit den gesellschaftlichen Gegebenheiten, in seinem durchaus konservativ zu nennenden Musikideal als Komponist und nicht zuletzt in seinem Wirken als Lehrer und Mentor.

In den vergangenen Jahren hat die Akademie der Künste in Berlin den Nachlass Kempffs erworben und aufgearbeitet. Hieraus ist als eine erste Dokumentation ein sehr überzeugendes Ausstellungskonzept entstanden, das in Zusammenarbeit mit dem Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte ab heute präsentiert wird. Bis zum 1. Februar 2009 kann man diese Ausstellung zum Leben und Wirken des Pianisten sehen. Und was man dort entdeckt, ist bemerkenswert: Unter dem Titel „Ich bin kein Romantiker“ hat Kurator Werner Grünzweig eine sensible, sich oftmals beschränken-müssende Auswahl aus dem reichen Nachlass getroffen und mit Ausstellungs-Gestalter Enrico Oliver Nowka eine Präsentationsform gefunden, die durch Klarheit und grafische Eleganz besticht. Die Hörstationen und Installationen sowie ein Kinoraum am Ende der Exposition lassen zudem Kempffs Kunst hör- und sehbar lebendig werden. Zahlreiche Veranstaltungen begleiten in den nächsten Wochen die Exposition und vertiefen das Gezeigte.

Den Besucher empfängt einstimmend eine Fotografie des eineinhalbjährigen Wilhelm Kempff. Der Junge schaut mit großen Augen in die Kamera – und damit auf den Besucher. Erwartungsvoll. Von hier aus wandert man mit Kempff durch sein Leben, gegliedert in 16 chronologische und sechs thematische Schwerpunkt-Kapitel. Unzählige Notenautographe, Manuskripte, Rezensionen, Programmhefte, Fotografien und Korrespondenzen zeigen nicht nur einen weithin bewunderten Künstler und Lehrer, sie dokumentieren auch zahlreiche persönliche Beziehungen zu Künstlerkollegen und Freunden. In der zentralen Rotunde mit einem offenen Flügel der Familie Wilhelm Spaethe und einer Videoleinwand, die Aufnahmen mit dem Pianisten zeigt, erreicht man einen biografischen Halte- und Mittelpunkt, um den herum sich die thematischen Schwerpunkte gruppieren.

Und man hält vor einem großformatigen Porträt Kempffs aus dem Jahr 1945 inne. Dieses zeigt einen nachdenklichen Kempff, deutlich schmaler geworden, der die aus gesundheitlichen und politischen Gründen erzwungene Auftrittspause nach Kriegsende als nachhaltige Krise empfand. Gerade diese Punkte der Ausstellung lassen den Menschen Kempff sehr nahe erscheinen. So ist es Werner Grünzweig wichtig zu bemerken, dass Kempff kein ausschließlich magistraler Mensch gewesen sei, wie es die im letzten Raum versammelten Schallplattencover verschiedener Jahrzehnte zu suggerieren versuchen. Er war (auch) ein äußerst umgänglicher Mensch, der als Künstler geradezu physisch den Kontakt zu seinem Publikum brauchte. Spielen, Konzertieren war ihm zur zweiten Natur geworden.

Das letzte Bild zeigt Kempff 1988 auf der Terrasse der Casa Orfeo in Positano sitzend und auf das Meer schauend. Ein großer Künstler am Ende seiner beeindruckenden Laufbahn. Seine Sekretärin Annette von Bodecker sagte über diese letzten Jahre in Italien: „Ich hatte das Gefühl, daß Kempff in dieser Zeit die starke Weltverknüpfung, die er hatte, lösen und zu großer innerer Ruhe kommen konnte.“ Ausstellungskatalog 24 Euro.

Christina Siegfried

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