Kultur: Von allem das Beste
Kunst in entrückter Seenlandschaft: Rohkunstbau in Groß Leuthen
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Kunst in entrückter Seenlandschaft: Rohkunstbau in Groß Leuthen Es kommt einer Offenbarung gleich, wenn sich nach einer Stunde Fahrt in Richtung Süden, in Richtung der Kunst, der Groß-Leuthener See vor einem öffnet. Das Schilfufer ist nahezu intakt, eine Badestelle auf grüner Wiese, Ruderboote dümpeln auf dem Wasser. Der Wirkung dieser Idylle, in deren Mitte das neogotische Schloss steht, fast genau 100 Kilometer von Potsdam entfernt, aber eigentlich viel weiter fort, in einem Kunstreich, kann sich niemand entziehen. Ist das noch Brandenburg, das Land, in dem die Kultur ganz langsam ausgedörrt wird? In und um das Schloss am See wartet nun bis zum 28. August zum 12. Mal die Ausstellung „Rohkunstbau“ mit internationaler zeitgenössischer Kunst auf. Der Mann, der die verwegene Idee hatte, ein verschlafenes Dorf in der entlegenen Lausitz auf die internationale Kunstlandkarte zu setzen, Arvid Boellert, ist praktizierender Augenarzt. Die Kunst, und nur die namenhafte, ist seine Leidenschaft. Ein junger „Prinz“, der gegen alle Widrigkeiten der Zeit ein Schloss, ehemals als Kinderheim und Waisenhaus genutzt, nun das Jahr über leerstehend, aus seinem Schlaf herausreist. Jemand, der nicht über ein fantastisches Vermögen verfügt, und doch Reichtum ansammelt, um ihn zu teilen. Mag Rohkunstbau im zwölften Jahr zu einer Institution gereift sein, die Figur des stillen und bestimmten Machers Boellert, trägt einen guten Teil zu der Faszination des Projektes bei. Jeder spürt: da ist jemand, der eine präzise Vision hatte, die er mit festem Willen durchgesetzt hat. Boellert und sein Kurator, der Engländer Mark Gisbourne, luden Künstler ein, die die dreizehn in Schönheit versunkenen Schlossräume individuell mit ihrer Kunst gestalten sollten. Der Dialog mit der ursprünglichen Funktion des Raumes, als Vorhalle, Schlafzimmer oder Salon, ist ebenso erwünscht wie die Referenz an vergangene Festivals. Jedes Jahr stehen die Werke unter einem Leitthema, das dieses Mal Robert Schumanns 13 Kinderszenen liefern. Wie funktioniert unsere Kindheitserinnerung? Und auch: in welchen Vorstellungswelten leben Kinder? Die Britin Laura Ford hat das Entrée mit einer in Pyjamas gewandelten Kinderpolonaise gestaltet. Mit verbundenen Augen halten sich diese kleinen Figuren aneinander fest, als tappten sie durch eine lichtlose Welt. Die Welt der Träume. Ihre Füße sind die von Fabelwesen. Nie schlafende Kobolde im Halbdunkel der Eichenpanelen des Raumes. Niedlich, aber gleichzeitig unheimlich. Kindheit wird von den beteiligten Künstler eher düster wahrgenommen und dramatisiert. Yann Delacour aus Frankreich hat 12000 Playmobilsoldaten in Bataillonen in eine zimmerfüllende Sandlandschaft gestellt. Die einzelne Figur verschwindet in der Masse. Die britischen Brüder Jake und Dinos Chapmann adaptieren Goyas Kupferstichstudien von Kriegs- und Schreckensgeschehen und kreuzen sie mit Comicfiguren. Zu ihren Bildern „Gigantic Fun“, muss sich der Betrachter auf das Niveau von Kinderaugen herunterbeugen. So wird der Terror des Krieges aus Kindersicht erfahrbar. Der Höhepunkt ist sicherlich der Raum, der von der berühmten Bildhauerin Louise Bourgeois gestaltet wurde. Die in New York arbeitende 94jährige Künstlerin verlässt ihr Atelier nicht mehr. In ihren Stoffarbeiten mit Erinnerungsfotos von ihrem Vater, der in den ersten Weltkrieg zog, sind jeweils die Hände, als Zeichen der Verbindung, mit rotem Faden eingekreist. Hier wird der Zeitpunkt des Verlassenwerdens, der schmerzhafte Moment der Trennung mit Hilfe der Fotografie als Medium der Erinnerung in die weiche Stofflichkeit des Filzes eingearbeitet. Matthias Hassenpflug Mi - Fr: 14 - 20 Uhr, Sa - So: 10 - 20 Uhr, info: www.rohkunstbau. de
Matthias Hassenpflug
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