Kultur: Von der Menschenverachtung zur Menschenvernichtung ist es nur ein kleiner Schritt Wanderausstellung über die Tötungsfabrik Auschwitz-Birkenau macht Halt in der Stadt- und Landesbibliothek
Von Heidi Jäger Die Fotos sprechen eine leise, eindringliche Sprache. Ein abgestorbener Baum reckt seine morschen Äste hinter dem Zaun aus Stacheldraht – wie eine stumme Anklage, ein letzter, verzweifelter Hilfeschrei.
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Von Heidi Jäger Die Fotos sprechen eine leise, eindringliche Sprache. Ein abgestorbener Baum reckt seine morschen Äste hinter dem Zaun aus Stacheldraht – wie eine stumme Anklage, ein letzter, verzweifelter Hilfeschrei. Die Ausstellung über „Auschwitz-Birkenau – die internationalste und größte aller Tötungsfabriken“ zeigt nicht die spektakulären, kaum aushaltbaren Bilder. Es sind vor allem „Stillleben“: von den Wachtürmen und Schornsteinen, den todbringenden Augen der Scheinwerfer und von den Mauern, hinter denen das Unvorstellbare geschah. Und dennoch wühlen die aktuellen und historischen Fotos auf, lassen Platz, mit eigenen Gedanken auf Reise zu gehen: an den Ort eines der größten Verbrechen der Menschheit. Zur gestrigen Eröffnung der Wanderausstellung in der Stadt- und Landesbibliothek kam es zu einer spontanen, sehr authentischen Führung. Der ehemalige Auschwitz-Häftling Willi Frohwein gesellte sich zu den jugendlichen Vernissagebesuchern und gab den Fotos eine noch deutlichere Sprache. Er krempelte seinen Hemdsärmel hoch und zeigte die kleine, so entscheidende Nummer: 122785. „Sie bedeutete Arbeitslager, also Überleben. Die, die ins Krematorium kamen, gingen so durch – ohne Nummer.“ Die Schüler der Goetheschule hörten sichtlich beeindruckt dem 80-jährigen Babelsberger zu, der von seinen quälenden Träumen spricht, die ihn Nacht für Nacht einholen. Immer wieder sieht er das Bild, wie er seine trauernde Mutter in den Armen hält und sie über den Tod des gefallenen Bruders hinwegtrösten will – mit den Worten: ,Lass“ mal, wir gehen sowieso bald alle dorthin“.“ 21 Jahre konnte Willi Frohwein nicht über seine Erlebnisse sprechen, inzwischen ist dieser Bann gebrochen. „Wenn ich rede, träume ich nicht.“ Und es ist gut, dass dieser agile, offenherzige Mann redet: gegen Vergessen, Verdrängen und Leugnen. Denn nicht überall trifft das Erinnern und somit auch diese Ausstellung auf offene Ohren. Mehrere Städte in den alten Bundesländern lehnten die Exposition des Vereins zum Erhalt der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau ab. „Die Argumente waren unterschiedlich. Die einen sagten: ,Es gibt bei uns keinen Rechtsradikalismus“, die anderen: ,Dafür ist die Zeit noch nicht reif“ und wieder andere: ,Wir sehen in den Medien schon genug davon“,“ so der Vereinsvorsitzende Kurt Drommler. Einer Studie aus dem Jahre 1999 zufolge, wüssten aber zwei Drittel der unter 25-Jährigen nichts mit dem Begriff Auschwitz anzufangen. „Das liegt aber nicht an den Jugendlichen, sondern am Versäumnis der älteren Generationen, die sich nicht der Geschichte gestellt haben. Vieles, was im Dritten Reich an der Tagesordnung war, hat wieder Bedeutung bekommen. Auch heute werden Menschen ausgegrenzt: Arbeitslose, die angeblich zu faul sind, zum arbeiten, Leute, die aussehen wie Ausländer, Schwerbehinderte Mit Ausgrenzung fing es auch damals an. Von der Menschenverachtung bis zur Menschenvernichtung ist es nur ein kleiner Schritt. Erneut werden Leute umgebracht, weil sie nicht dem selbst gestrickten Weltbild des anderen entsprechen.“ Kurt Drommler erinnerte zur Eröffnung an den italienischen Juden Primo Levi, der halb verdurstet bei seiner Ankunft in Auschwitz an einem Eiszapfen lutschte. Als ein SS-Mann ihm das verbot, fragte er: ,Warum?“ Die Antwort lautete: ,Hier ist nicht fragen.“ Heute haben wir die Chance, zu fragen, immer wieder zu fragen, auch wenn wir uns den Antworten nicht nähern können. Selbst Lagerinsassen sagen, dass sie die Antworten nicht begreifen.“ Drommler betonte, dass die Konzentrationslager zwar eine Einrichtung der SS gewesen seien, aber sehr viele mitgeholfen hätten und das im vorauseilenden Gehorsam. „Viele Deutsche wussten, was sie nicht wissen wollten.“ Er habe den Verein vor sechs Jahren mitgegründet, weil er dem zunehmenden Verfall von Auschwitz-Birkenau abwenden wollte: „Als Stätte zum Gedenken an die Opfer – denn wer die Opfer vergisst, tötet sie noch einmal. Uns wurde aber auch sehr schnell klar, dass man nicht nur die Gedenkstätte vor Ort, sondern in jedem Menschen erhalten muss.“ Die Ausstellung könne dazu beitragen. Sein Verein wolle sachlich informieren und nicht mit Schreckensbildern vordergründig das Gefühl ansprechen. „Schließlich gehen die Ausstellungsbesucher nach Hause und wären dort allein gelassen, keiner würde ihnen mit ihren aufgewühlten Emotionen zur Seite stehen.“ Dennoch gibt es auch Bilder, die den Magen zusammenkrampfen lassen: Zeichnungen von Lagerinsassen, die den Tod aufs Papier brachten. Da gab es den Rapportführer Oswald Kaduk, der den hingefallenen Häftlingen mit Vorliebe einen Stock über den Hals oder Nacken legte und solange darauf wippte, bis dem Gestürzten das Genick brach. Und auch das „Pfahlhängen“ gehörte zum täglichen Lagerleben. „Es gibt keine intensiveren Dokumente als Zeichnungen ehemaliger Häftlinge, die sich nach der Befreiung ihre Erlebnisse von der Seele malten. Darauf wollten wir nicht verzichten“, so Drommler. Auch Oberbürgermeister Jann Jakobs betonte in seiner Eröffnungsrede, dass Auschwitz noch immer bagatellisiert und verleugnet werde, die Behauptung der „Auschwitz-Lüge“ nicht überwunden sei. „Es tut weh, hinzuschauen, aber es ist notwendig, um Wiederholungen zu vermeiden. Gerade deshalb ist es wichtig, sich zu informieren, um auch richtig argumentieren zu können.“ Die Potsdamer Schüler, die zum Teil schon selbst Auschwitz besuchten, schienen indes sehr gut informiert. „In der Schule hören wir aber meist immer die selben Fakten und Zahlen, und das wiederholt sich in jeder Klassenstufe. Interessant wäre mal eine andere Annäherung“, hielten die aufgeschlossenen jungen Leute nicht hinterm Berg. Das sehr emotionale, aber auch lockere Gespräch mit Willi Frohwein in dieser Ausstellung fesselte offensichtlich ihr Interesse. Doch wie lange gibt es noch Zeitzeugen, Menschen, die überhaupt dazu in der Lage sind, über das Unaussprechliche zu sprechen? Gerade deshalb sind Bemühungen wie die des Vereins zum Erhalt des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau, das so groß wie 350 Fußballfelder war, wichtig. „Wenn die letzten Überlebenden der Hölle von Auschwitz nicht mehr Zeugnis ablegen können – und darauf wartet man in gewissen Kreisen – dann wird Auschwitz in nicht zu ferner Zeit nur noch eine Legende sein“, sagte Henry Ormond als Vertreter der Nebenklage 1965 bei seinem Plädoyer im Frankfurter Auschwitz-Prozess. Die mahnende Ausstellung über die größte Tötungsfabrik wird nach Potsdam als 15. Station weiter auf Wanderschaft gehen. „Sie bleibt auf Deutschland begrenzt. Hier haben wir aufzuarbeiten“, so Kurt Drommler. Zu sehen ist die Fotoschau bis zum 5. März.
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