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Kultur: Von der Mündung an die Quelle

„Warten auf Europa“: Fotografien von Frank Gaudlitz und Jörg Meier in der „a | e Galerie“

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Fotografen sind meist Abenteurer, Suchende, Nach-Forschende, sie wollen wissen, wie es ist. Ihr Instrument freilich, die gute alte oder moderne neue Kamera, ist eher geneigt, den Augenblick zu fesseln, festzuhalten. Eine unauflösbare Differenz, ohne Frage: hier der Drang zur Allgemeingültigkeit, da die Gelegenheit, im richtigen Moment eben gerade dieses Bild zu machen, und kein anderes. Mit diesem Paradox haben Foto-Autoren wie auch ihre Rezipienten gleichermaßen zu kämpfen, schließlich geht es um nichts weniger als die Frage, was denn an einer Arbeit nun objektiv und was dem berühmten Zufall unbekannterweise geschuldet sei. Der „6. Europäische Monat der Fotografie Berlin“ derzeit ist ein guter Anlass, über den bezeichneten Widerspruch und seine weitreichenden Folgen nachzusinnen. Schön, dass eine Jury auch die kleine, aber sehr engagierte „a | e Galerie“ in der Hermann-Elflein-Straße mit erwählte, Angelika Euchner hat ja einen hervorragenden Blick für die Einmaligkeit guter Fotos. Das vorgelegte Thema „Umbrüche und Utopien. Das andere Europa“ dürfte freilich der Galeristin mehr als den Fotografen entgegengekommen sein. Denn wie will man Allgemeinplätze wie Utopien und Umbrüche fotografieren?

Zum Glück gibt es noch Abenteurer, Suchende wie Frank Gaudlitz. Er wurde 1958 in Vetschau geboren und studierte bei Arno Fischer in Leipzig sein Metier. Anfang der 90er machte ihn seine Dokumentation über den Abzug der Russen aus Ostdeutschland ziemlich bekannt. Wie man anderswo auf Europa wartet, zeigt er in einer sehenswerten Serie von Schwarzweiß-Fotografien aus den Donau-Staaten, die er per Auto von der Mündung retour bis zur Quelle bereiste, Abstecher inklusive. Er sah die kargen und die schönen Landschaften, sprach mit den Menschen, fragte nach ihren Wünschen und Zielen, lichtete die Erdstriche schwarzweiß, die Menschen aber in Farbe ab. Größere Städte blieben außen vor. Die eher kleinformatigen Landschaftsfotos (30 x 37, Barytabzüge, selengetont) dieser Serie sind ob ihrer schlichten Zurückhaltung eher eine Herausforderung. Alles grau in grau, nirgends strahlte die Sonne, nicht in der Slowakei oder Kroatien. Ein einsames Kirchlein an der Straße in Ungarn, in Rumänien ein verlassenes Brückenfragment, Plattenbau hinter einem antiken Amphitheater in Bulgarien. Dörfer, Felder, Siedlungshäuser – alles scheint nach dem Willen der Jury irgendwie auf Europa zu warten, auf bessere Zeiten.

Die Menschen natürlich zuerst. Im Gegensatz zu den durchweg analog fotografierten Landschaften hat Frank Gaudlitz seine Farbporträts noch digital bearbeitet. Hier sind Menschen im Format 60 x 50 zu sehen, ihr Stolz, ihr Trotz, das Bedürfnis, zu zeigen, was man vorzeigen kann. Hervorragende Studien! Dazu teilt ein Wandbanner zweisprachig mit, was sich diese Leute wünschen. Ein Bauer an der Donauquelle gibt lakonisch zu Protokoll, Hans im Glück hätte alles verloren. Eine junge Serbin möchte in Deutschland als Kindermädchen arbeiten, eine andere wünscht sich ein Haus mit viel Liebe. Dichter kommt man an das Jahresthema „Warten auf Europa“ wohl nicht heran.

Teil zwei dieser Ausstellung ist den Arbeiten von Jörg Meier gewidmet, 1970 in Dortmund geboren. Sein Abenteuer hieß 2009 Paris. In Sichtweite des Eiffelturms fotografierte er Schwarzafrikaner beim Verkauf von Tinnef und Souvenirs mit dem Versprechen, diese Fotos frühestens in vier Jahren zu veröffentlichen. Eine Schutzfrist, denn ohne Dokumente ist man schneller wieder raus aus Europa, als einem lieb sein kann. So stehen sie mit ihrem Kram, ernste Gesichter, die Arme behängt mit dutzenden kleinen Eiffeltürmchen. Traurige Gestalten, stets auf der Hut. In Frankreich heißen sie Les sans papiers, Leute ohne Papiere also. Es war sehr schwer, an sie heranzukommen, doch Meier hat sein Versprechen gehalten. Einen dieser Illegalen hat es dann doch erwischt, zwei Polizisten kontrollieren, eine weiße Frau und ein Schwarzer. Plötzlich sieht sich jeder Betrachter vor die Frage gestellt, ob er diesen Männern in Sichtweite zum Original so ein kitschiges Souvenir abkaufen würde, damit sie ihre Schlepper und die Unterkunft in Paris bezahlen können.

Ein Foto – eine Geschichte. Der nächste Moment schon erzählt eine ganz andere, dort am serbischen Fluss. Erst recht in Paris, wo man Fersengeld geben muss, um bleiben zu können, denn die nächste Razzia kommt ganz bestimmt, und dies plötzlich. Klar, auch das sind Abenteuer voll mit Bildern, zur Quelle hinauf, wo der Grund liegen mag. Doch wäre je einem Bild mehr als die Kraft des Augenblickes verliehen? Seine Gültigkeit reicht eben nur für einen Moment – und das ist ganz faustisch gemeint. Gerold Paul

Die Ausstellung ist noch bis zum Samstag, dem 22. November, Mittwoch bis Freitag 15-19 Uhr und am Samstag 12-16 Uhr in der Hermann-Elflein-Straße 18 zu sehen.

Gerold Paul

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