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Von Klaus Büstrin: Von der Zerrissenheit des Leidenden Ein Konzert der Singakademie Potsdam

Die Rhapsodie für Alt, Männerchor und Orchester ist ein sehr persönliches Werk, für das Johannes Brahms’ vergebliche Liebe zur Schumann-Tochter Julie den Hintergrund liefert. Die düsteren Texte aus Goethes „Harzreise“ schienen ihm passend, um die Verletzungen am Herzen auszudrücken.

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Die Rhapsodie für Alt, Männerchor und Orchester ist ein sehr persönliches Werk, für das Johannes Brahms’ vergebliche Liebe zur Schumann-Tochter Julie den Hintergrund liefert. Die düsteren Texte aus Goethes „Harzreise“ schienen ihm passend, um die Verletzungen am Herzen auszudrücken. Unter der Leitung von Thomas Hennig machte das Werk im Nikolaisaal den Anfang eines ambitionierten Konzertes des Sinfonischen Chores der Singakademie Potsdam, bei dem das Deutsche Filmorchester Babelsberg mitwirkte. Die Mezzosopranistin Heidi Kolboske sang die Alt-Partie mit selten hörbarer Inbrunst, die den Herzschmerz und die Zerrissenheit des Leidenden wiedergeben sollte. Der Männerchor der Singakademie wusste der traurigen Stimmung mit feinem Klang etwas Sanftes, Tröstliches entgegenzusetzen.

Es ging dem Dirigenten Thomas Hennig in dem vier Kompositionen umfassenden Programm um Menschen, die verfolgt, vertrieben werden und sich ins Exil begeben müssen, bis heute. Vor allem in Hennigs eigenem Werk „Exil“, das zur Uraufführung kam, und in Arnold Schönbergs „Ein Überlebender aus Warschau“ von 1947. Die biblischen Texte, die Brahms für sein „Deutsches Requiem“ wählte, standen für den Menschen, dessen Suche nach Trost und Sinn im Leid kreisen. Zwei Pole als nahezu unauflösbares Rätsel. Im Brahms-Requiem, das keine liturgische Totenfeier ist, steht die Trauer und die Tröstung im Vordergrund, doch auch das Wissen um Erlösung. Mit diesem Werk wollte Hennig die furchtbaren und besorgniserregenden aktuellen Geschehnisse in Japan bedenken und gedachte sie in einer Schweigeminute zu Beginn mit Publikum und Mitwirkenden.

Während so manch anderer Dirigent mit behäbig breitem Zeitmaß Endzeitstimmung beschwört, setzt Thomas Hennig im Requiem auf lockere Tempi, darauf bedacht, hoffnungsfrohes ewiges Leben zu beschwören. Der Sinfonische Chor, die Solisten Christine Wolff, Sopran, Michael Adair, Bariton, sowie das Deutsche Filmorchester Babelsberg fügten sich eindrucksvoll in die froh stimmende, oft lichte Konzeption, obwohl die Musiker manchmal die Lautstärke hätten reduzieren müssen. Den Männerstimmen im Chor fehlte es dann teilweise an Kraft, sich gegenüber dem Orchesterapparat zu behaupten. Christine Wolff sang ihren Part mit makelloser Stimme. Stets traf sie den angemessenen Tonfall zwischen verhaltener Expressivität, Nachdenklichkeit und weltentrückter Verklärtheit. Zwar wurde man auch Michael Adairs stimmliche Qualitäten gewahr, doch blieb seine Gestaltung blass, ohne innere Beteiligung.

Eindringlich gestaltete dagegen der Schauspieler Jaron Löwenberg den Text in „Ein Überlebender aus Warschau“ von Arnold Schönberg, der vom Terror und den Mord an jüdischen Gefangenen während der NS-Zeit erzählt. Doch mitten in trostlosester Situation stimmen die Juden das althebräische „Sch’ma Jisrael“ an – eine letzte Bekräftigung ihrer Würde als Menschen. Thomas Hennig dirigierte das wenige Minuten dauernde grandiose Stück eindringlich. Das Babelsberger Filmorchester und auch die Herren der Singakademie nahmen das schnelle Tempo des Dirigenten auf und hielten das bewegende Werk stets im Fluss.

Thomas Hennig steuerte ein eigenes Werk bei, das er „Exil“ nennt: Eine eindrucksvolle musikalische Collage aus Texten von Heines „Deutschland – ein Wintermärchen“, Zitaten von romantischer Musik (Brahms und Friedrich Silcher) sowie Vertonungen von Gedichten Hilde Domins, die im Exil entstanden sind. Die Ironie Heines und die still berührende Lyrik Domins hat Hennig ohne aufgesetzten schrillen Gestus in Musik umgesetzt. Sensibel wurde die Durchhörbarkeit bedacht. Orchestral hörte man nur an wenigen Stellen Aufbrausendes. Dann war der vorzüglich rezitierende Jaron Löwenberg zu schwach, seine Sprechstimme dem Klangapparat „Paroli“ zu bieten. Die fein emotionalen Gedichte Hilde Domins sind in der Tonsprache Hennigs kühl. Sie wirken anteilnahmslos. Vielleicht lag es auch an der Nicht-Gestaltung des nur schön singenden Tenors Guillaume Francois. An dieser Uraufführung waren auch die Damen der Singakademie sowie Mitglieder des Kinder- und Jugendchores beteiligt.

Ein sehr nachdenkliches Konzert, das durch die Vielzahl von Werken jedoch überfrachtet wurde. Auf die Alt-Rhapsodie hätte man gut und gerne verzichten können.

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