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Der Schnitter fährt die Ernte ein. Das Kirchenfenster in Marquardt.

©  Heike Schulze

Kultur: Von Engeln, Fischen und falschen Bärten Merkwürdigkeiten in Kirchen Brandenburgs

Seit längerem beschäftigt sich Antje Leschonski, gelernte Buchhändlerin und Mitinitiatorin des „Dorfkirchensommers in Brandenburg“ mit den Dorfkirchen im Brandenburgischen. Deren Interieur brachte sie schon manches Mal zum Staunen, der Band „Engel, Stifter, Heilige.

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Seit längerem beschäftigt sich Antje Leschonski, gelernte Buchhändlerin und Mitinitiatorin des „Dorfkirchensommers in Brandenburg“ mit den Dorfkirchen im Brandenburgischen. Deren Interieur brachte sie schon manches Mal zum Staunen, der Band „Engel, Stifter, Heilige. Schätze in märkischen Kirchen“ im Wichern Verlag erzählt davon. „Neugierig geworden, hielt ich bewusst Ausschau nach weiteren Merkwürdigkeiten, sammelte sie und beschloss sie in einem neuen Buch zu veröffentlichen“, heißt es im Vorwort zum reich illustrierten Folgeband „Engel, Fisch und falsche Bärte“, ihre zweiten Herausgeber-Arbeit beim selben Verlag.

Siebenundzwanzig Textbeiträge von theologisch oder künstlerisch geschulten Personen versuchen von Havelberg bis Cottbus, von der Elbe-Elster-Gemeinde Hirschfeld bis nach Börnicke im Havelland, den ikonographischen Chiffren gutchristlicher Devotionalien auf die Spur zu kommen; mit Blankensee, Plötzin und Potsdams Ortsteil Marquardt – wo ein Schnitter im Jugendstil-Fenster das Ende der Welt vorwegnimmt – sind auch näher liegende Gemeinden dabei. Walddrehna im Landkreis Dahme-Spreewald kann zum Beispiel mit dem kleinsten Taufengel im ganzen Bundesland aufwarten, ganze neunundsiebzig Zentimeter ist das gute Barockstück lang. Lediglich umgürtet, steigt er zu seinem kleinen Täufling herab, ihm „seinen milden Blick“ zu schenken, wie Annegret Gehrmann liebevoll textet.

Sehr anrührend ist auch die Geschichte von dem sandsteinenen Taufengel der Evangelischen Oberlinkirche. Der Berliner Bildhauer Heinrich Wefing suchte 1905 ein Modell für seinen Entwurf. Er fand es in der Diakonisse Meta Colberg, die 1889 nach Nowawes kam. Noch heute, erzählt Matthias Amme, zieht sich manchmal eines der taubblinden Kinder an ihren/seinen Armen hoch und küsst die Figur auf den Mund. Umringt von vier heiligen Frauen, findet man nahe der alten Klosterstadt Ziesar einen farbigen Schnitzaltar aus dem Jahr 1420. Als sei er Luft, hält die Muttergottes eine Jesusfigur in ihrer Rechten, er indes einen Vogel, Taube oder Distelfink. Beide lächeln mit stark geröteten Lippen ein unergründliches Lächeln dazu. Friederike von Kirchbach fragt in ihrem Text, was diese Darstellung in Buckau wohl meint. „Bilder und Geschichten aus märkischen Kirchen“ hält dieser schmale Band also reichlich bereit. Bilder von gotischen Jungfrauen, welche eifernde Protestanten in Börnicke zu bärtigen Männern „umfunktionierten“, Geschichten wie jene aus Marquardt, wo die Mutter des Gutsherrn und Kirchenpatrons Louis Ravené sogar zum „Urbild“ der Fontaneschen „L’Adultera“ wurde.

Das schön gestaltete Buch ist eine Geschenk-Empfehlung. Was die entdeckungsfreudige Herausgeberin anfangs unter „Curiosa“ fasste, wird unter den Augen der Lesers immer mehr zu Miniaturen der märkisch-christlichen oder christlich-märkischen Kulturgeschichte, zu einer höchst augenfreundlichen Lektüre. Vielleicht ist es gut, wenn nicht jeder die christliche Ikonographie der Vergangenheit kennt. So findet man leichter heraus, was die Darstellung von Jona und dem gewaltigen Walfisch in der Cottbuser Oberkirche für den Betrachter bedeutet, und ob jener Koch, Figur an einem Sandsteinleuchter im Dom zu Havelberg, nicht gerade sein kosmisches Pendant anschaut. Als Kirchen-Zubehör ist jedes Ikon ein Wegweiser, ein stumm-beredter Zeuge, für den Glauben. Der Verlag wählte das Motto „Himmlische Nachrichten“ also ganz rechtens dafür. Gerold Paul

Antje Leschonski (Hg.): Engel, Fisch und falsche Bärte. Bilder und Geschichten aus märkischen Kirchen, 64 Seiten, 28 farbige Abbildungen, gebunden, 9,80 Euro

Gerold Paul

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