Kultur: Von Frau zu Frau
Über Eigensinn, Schwärmerei und abgeschnittene alte Zöpfe: Hanne Bahra liest heute im Filmmuseum aus ihrem Luise-Buch
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Schon wieder Luise, mag manch einer stöhnen, der von Ihrer heutigen Lesung im Filmmuseum aus „Königin Luise. Von der Provinzprinzessin zum preußischen Mythos“ hört.
Das bleibt bei einem Gedenk-Jahr nicht aus. Da kommt es schnell zum Überdruss. Doch vor einem Jahr, als ich im Auftrag des Bucher Verlags das Buchprojekt in Angriff nahm, dachte ich noch, wer ist denn diese Luise? Ich hatte zwar drei Jahre vor meinem Kunstgeschichtsstudium als Schlossführerin in Sanssouci gearbeitet, doch Luise blieb mir da genauso verschwommen wie alle Frauen der Preußen-Könige: Ein Blumiges Nettes am Rande. Unbedeutend.
Und wie sehen Sie Luise heute?
Als eine sehr charismatische, energiereiche Frau, die auch sehr ehrlich zu sich selbst war.
Inwiefern?
Sie machte zum Beispiel aus ihrem Bildungsmangel keinen Hehl und versuchte nachzuholen, was sie in ihrer Kindheit und Jugend versäumte. Zwei Freundinnen halfen ihr dabei auf die Sprünge, suchten Bücher für sie heraus und strichen die lehrreichen Stellen an, denn Luise war auch faul. Und sie sagte, dass sie alle Bücher in die Havel werfen würde, wenn sie nicht auch etwas fürs Herze wären.
Woraus resultierte Luises Bildungsmangel?
Luise ist ein Spiegel ihrer Zeit. Für Frauen, vor allem für Prinzessinnen, war Bildung nicht so wichtig. Und sie war auch als Kind schon faul und viel zu unruhig, zu sprunghaft für die Theorie. Sie las schon, aber eher Religiöses oder Historienwerke wie „Friedrich mit der zerbissenen Wange“.
Angesichts der Fülle von Veröffentlichungen, hat man da als Autorin nicht auch Angst, dass man bereits Bekanntes wiederholt?
Keineswegs. Man denkt, so wie ich es aufschreibe, hat es noch kein anderer getan. Das ist die Magie des Schreibens. Und gerade bei einem so lebendigen Stoff wie Luise findet man immer andere Ansätze.
Was unterscheidet Ihr Buch von anderen Luise-Büchern?
Ich näherte mich von Frau zu Frau, fragte, wie fügsam, wie anschmiegsam, wie rebellisch war diese Luise? War sie Politikerin oder nur ein Anhängsel ihres Mannes? Darüber gaben vor allem ihre Briefe Auskunft, die so lebendig sind, dass ich selbst ihrem Schreibstil verfiel und die Gefahr bestand, die Distanz zu verlieren. Also warf ich meine ersten 30 Manuskriptseiten in die Tonne und nabelte mich ab. Erst nach diesem herben Schnitt konnte ich Luise sehen.
So wird sie als widerspenstiges, eigenwilliges Kind beschrieben. Wo blieb ihr Eigensinn in der Ehe?
Geschickt verpackt in Diplomatie, so setzte sie zum Beispiel ihre Freundschaft mit der geistigen Amazone Karoline von Berg gegen den Willen des Königs durch, der sich vor allzu viel Bildung bei Luise fürchtete. In ihren Briefen liest man auch von ihrem Zorn über die Launen ihres Mannes.
Ihre Mutter ist gestorben, da war Luise sechs Jahre alt. Hatte sie trotzdem eine glückliche Kindheit?
Sie wurde ebenso wie ihre zwei Schwestern Therese und Friederike von der Großmutter groß gezogen. Und die baute in der Erziehung auf das Prinzip: „Die Freudigkeit ist die Mutter aller Tugenden“. Durch diese Herzenswärme war Luise sehr geerdet. Nachdem die Mädchen ihre erste Erzieherin rausgeekelt hatten, bekamen sie eine Lehrerin, die Anhängerin von Rousseau war. Der Entzug der Nachspeise war da die strengste aller Strafen, die verteilt wurde. Die Großmutter setzte ohnehin mehr auf praktischen Anschauungsunterricht und fand Reisen wichtiger als Bücher.
Wie wurde Friedrich Wilhelm III. auf Luise aufmerksam?
Die Großmutter sah natürlich ihre wichtigste Aufgabe darin, die Mädchen unter die Haube zu bringen. Und sie nutzte ihre Verbindungen, dass die Enkelinnen aus der Provinz zur Krönung von Kaiser Leopold II. in Frankfurt am Main eingeladen wurden. Fürst Metternich eröffnete mit Luise den Ball und alle waren von ihrer Frische beeindruckt. Metternich fand sie indes etwas hausbacken. Durch eine Verkettung von Umständen erfuhr auch der Preußenkönig Friedrich Wilhelm II. von den Schwestern und witterte eine gute Partie für seinen Sohn. Doch Luises Vater war gar nicht so begeistert, seine Tochter an den verlotterten Rokokohof nach Potsdam zu geben, schließlich stand er im Verruf einer Mätressenwirtschaft. Also schickte er einen Kundschafter aus und der beruhigte, dass Friedrich Wilhelm III. ganz anders geartet sei als sein Vater.
Und wann funkte es zwischen dem künftigen Paar?
Das war auf einem Ball. Der auf Freiersfüßen stehende Kronprinz tanzte mit beiden Schwestern. Es fiel ihm indes schwer, sich zu entscheiden: Nehme ich Friederike, die Sinnliche, oder Luise, den Kumpeltyp? Schließlich überließ er seinen Beratern das letzte Wort. Vielleicht hatte der eher trockene Mann zu viel Angst vor der Sinnlichkeit.
Auf der berühmten Doppel-Statue von Schadow sieht man Luise durchaus auch als sehr lieblich.
Die Statue ist dafür berühmt, dass sich hier Wirklichkeit mit antikem Ideal vermischt. Sie unterschlug das Herbe, das auf einer Zeichnung von Schadow durchaus zu sehen ist. Dort ist sie mit kräftigem Hals, leichtem Überbiss als imposante Erscheinung dargestellt. Und wie sich erst nach Fertigstellung meines Buches in der Ausstellung in Charlottenburg bestätigte, hatte Luise tatsächlich große Hände und große Füße, immerhin Schuhgröße 41.
Dennoch schwärmten Künstler und Volk für Luise.
Unbenommen hatte Luise Charisma und war für jeden Künstler eine Projektionsfläche für die schönsten Erwartungen. Zudem war sie die erste Königin, die auch das Volk zu sehen bekam und die nicht nur in ihren Schlössern abgestellt wurde. Allerdings muss man auch vorsichtig sein mit Überlieferungen. So soll sie bei ihrem Einzug in Berlin spontan ein kleines Mädchen aus dem Volk umarmt und geküsst haben, zum Entsetzen ihrer Oberhofmeisterin, die sie dann lächelnd gefragt haben soll: „Wie, darf ich das auch nicht mehr tun?“ Doch das ist Legende, schon zu Lebzeiten gestrickt. Angesichts der Fülle des buchstäblich Verbrieften braucht man aber nichts zu erfinden. Auch nicht den alten Zopf, den sich Friedrich Wilhelm III. wirklich abschnitt und seiner Luise schickte, nachdem Napoleon mit moderner Kriegsführung die Schlachten in Auerstedt und Jena gewann, während sich die Preußen wie Zinnsoldaten abschießen ließen.
Glauben Sie, dass Luise wirklich Einfluss auf die Politik ihres Gemahls hatte?
Nein, aber sie war natürlich am Erhalt der Dynastie interessiert, schon im Sinne ihrer Söhne. Und sie hatte eine gute Menschenkenntnis. Dass die Reformer Karl vom und zum Stein und Fürst Karl August von Hardenberg aufgestiegen sind, ist ihr zu verdanken. Wobei sie keineswegs intrigierte.
Luise hat in 16 Jahren zehn Kinder geboren, wovon sieben überlebten. Wie ging sie mit dieser Belastung um?
Sie hat in ihren Briefen nie darüber geklagt, obwohl sie auch ständig als Schwangere ihren Mann durchs Land begleiten musste. Sie stöhnte eher über ihre ständigen Zahnschmerzen. Kinder kriegen war nun mal der Lebenssinn einer Königin. Die Totgeburt ihres ersten Kindes mitten im Honeymoon, dazu noch durch einen Sturz ausgelöst, erschütterte sie natürlich sehr. Aber auch wenn sie in ein Loch fiel, stürzte sie nie ins Bodenlose. Die liebevolle Beziehung zur Großmutter hatte ihr ein gesundes Urvertrauen mitgegeben. Dabei stellte sich bei ihr gerade immer im Glück auch das Unglück ein. Ihre ersten Schmerzen an der Lunge, in der sie ein Geschwulst hatte, an dem sie später starb, bekam sie bei ihrer Begegnung mit Zar Alexander.
Mit dem sie angeblich eine Affäre hatte?
Wohl eher nicht, obwohl sie einen recht trockenen Gatten hatte und sie selbst ganz Weib war. Im Zeitkontext gedacht, glaube ich aber nicht, dass sie eine richtige Liebesbeziehung einging. Aber die Leidenschaft für den Zar schwappt in den Briefen an ihren Bruder, dem sie sich gern anvertraute, doch sehr schwärmerisch über.
Diese Briefe wurden durch Napoleon öffentlich gemacht. Damit schüttete er eine große Häme über sie aus. Dennoch traf sie sich mit ihm, den sie als Ausgeburt der Hölle bezeichnete.
Ja, was immer wie ein Opfergang dargestellt wird. Was ich nicht ganz so sehe. Luise war in ihrem Element, als sie sich auf ihr Treffen zur Rettung des Vaterlandes vorbereitete. Sie wollte retten und auch als schöne Frau ihren großen Auftritt haben: Ich weiß nicht, wie viele Kleider sie dafür anprobiert hatte. Jedenfalls waren alle Zeitzeugen hin und weg von ihr. Luise dachte, dass sie diesen Kerl schon um den Finger wickeln würde, was eine große Selbstüberschätzung war. Napoleon ließ sich von ihren großen Gesten, dem großen Busen und den wallenden Gewändern nicht betören. Er demütigte sie vielmehr erneut, als er seine Forderungen an Preußen noch erhöhte.
Kamen Sie sich durch Ihr Luise-Buch auch selbst näher?
Andersherum, ich kam durch die Luise in mir der echten Luise näher. Ich kann gut ihren Unmut über die eigene Halbbildung verstehen, aber auch ihre Faulheit. Ihr Mut, dazu zu stehen, hat mich beeindruckt. Auch ihre offene Schwärmerei für Alexander. Da hat Luise aus ihrem Herzen keine Mördergrube gemacht. Mir war wichtig, einen lebendigen Zugang zu Luise zu schaffen, gerade als Gegenentwurf zur Mystifizierung, die nach ihrem Tod einsetzte, und auch in dem Film „Kolberg“ zu sehen ist, der heute nach meiner Lesung im Filmmuseum gezeigt wird und ihr eine nationalistische Vaterlandsliebe unterstellt, was ihr unendlich fremd war.
Das Gespräch führte Heidi Jäger.
Lesung aus „Königin Luise. Von der Provinzprinzessin zum preußischen Mythos“ mit Autorin Hanne Bahra und Schauspielerin Nora Hütz heute um 18.30 Uhr im Filmmuseum. Anschließend läuft der Film „Kolberg“ (Regie Veit Harlan), mit Einführung. Eintritt: 7,50/ erm. 6,50 Euro.
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