Kultur: Von Kirchturm zu Kirchturm
Pilgerweg zwischen Berlin und Wilsnack soll wiederbelebt werden / Ausstellung „Im Güldenen Arm“
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Pilgerweg zwischen Berlin und Wilsnack soll wiederbelebt werden / Ausstellung „Im Güldenen Arm“ Immer wieder war in den letzten Jahren der Architekturprofessor Rainer Oefelein zwischen Berlin und Bad Wilsnack unterwegs. Er suchte nach den Spuren des Pilgerweges, auf dem bis Mitte des 16. Jahrhunderts Hunderttausende dem Prignitzstädtchen zustrebten. Dort versprach ein 1383 entdecktes „Wunderblut“ – eine Hostie, die durch Pilzbefall eine blutähnliche Flüssigkeit abgab – Vergebung der Sünden und Heilung aller Leiden. Nach dem spanischen Santiago de Compostela, Rom und Aachen war Wilsnack damals der meistbesuchte Wallfahrtsort in Europa. So hat sich in Lübeck ein steinernes Wegekreuz von 1436 erhalten, das auf die Stadt hinweist. Die Ergebnisse seiner Suche zeigt der Architekt, der von seiner Frau, der Mittelalterhistorikerin Cornelia Oefelein, unterstützt wurde, bis 4. Dezember im Museumhaus „Im Güldenen Arm“ in der Hermann-Elflein-Straße 3. Stadkonservator Andreas Kalesse eröffnete am Montagabend die Ausstellung, die er nach Potsdam geholt hat. Mit nahezu kriminalistischem Scharfsinn ermittelte Oefelein Hunderte von Hinweisen auf den einstigen Pilgerweg, der in keiner Karte verzeichnet und längst durch modernere Verkehrswege verdrängt worden ist. So lässt sich sein Verlauf nicht genau rekonstruieren, doch waren die 130 Kilometer wohl von Kirchturm zu Kirchturm der Dörfer ausgerichtet. Auf der Strecke, auf den Friedhöfen und in den Gotteshäusern haben sich von rudimentärer Pflasterung über Kruzifixe und Grabkreuze bis zu Altargemälden zahlreiche Zeugen der Route erhalten. So fand Rainer Oefelein auf Kirchenglocken bisher nicht bekannte Pilgerzeichen, darunter in Manker auch eines für Wilsnack. Solche glücksbringenden Zeichen übergaben Pilger nach erfolgreicher Rückkehr ihren Kirchengemeinden. Aus einem lange nicht geöffneten Sakristeischrank der Wunderblutkapelle kamen Pilgerschuhe und ein mit Rosmarin gefüllter Geldbeutel aus dem 15. Jahrhundert zutage. Die Ausstellung zeigt die Sachzeugen teils im Original, teils in Kopien und Abbildungen. Den Wegeverlauf machen Landkarten deutlich, seine landschaftlichen Schönheiten hat Oefelein in 200 Farbaufnahmen festgehalten. Die Rekonstruktion des Pilgerweges ist für den emerierten Professor nicht schlechthin ein Altershobby. Er will ihn vielmehr auch wieder herstellen und Christen wie Nichtchristen für vier- bis siebentägige Wanderungen anbieten. Als Logo dient das Wilsnacker Pilgerzeichen, das auf einem Schild drei Hostien mit jeweils einem Kreuz in der Mitte zeigt. Die Ausschilderung hat begonnen. Im nächsten Jahr veröffentlicht Oefelein im Conrad Stein Verlag einen Wanderführer. Das Mittelalter, als fast jedes Haus Herberge oder Gaststätte für die Pilger war, wird dadurch in das heute als Kurort bekannte (Bad) Wilsnack nicht zurückkehren, doch auf eine touristische Belebung für die Orte an der Strecke und den Endpunkt des Pilgerweges darf durchaus gehofft werden. Schließlich wird auch der Jakobsweg nach Santiago noch heute jährlich von Hunderttausenden Pilgern und Touristen begangen. Erhart Hohenstein
Erhart Hohenstein
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