Kultur: Von Menschen und Zäunen
Eine Erfolgsgeschichte: Die Rosa Luxemburg-Schüler brachten ein tolles Stück auf die Bühne
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Und plötzlich ist es vorbei mit der Stille. Dramatische Musik brandet auf, die mehr als 100 Tänzer, die gerade noch einer neben dem anderen auf der Bühne standen, stürzen auf die Mitte zu. Sie liegen, sie knien, sie stehen. Der, den sie nach oben heben, ragt wie eine Statue gen Himmel, die Hand in Siegespose. Die Luft brennt: Rauch steigt nach oben.
Von Anfang an kann man es spüren, wie es brodelt, wie es kocht, in „Tryst" (Das Treffen), dem Tanzstück von James McMillan, das Royston Maldoom für seine Choreographie mit den Potsdamer Rosa-Luxemburg-Schülern ausgewählt hat. Es geht um Krieg, um Gewalt, um Macht und Ausgrenzung. Und trotzdem auch um Frieden und so etwas wie die Hoffnung auf eine bessere Welt. Zum ersten Mal hat der international renommierte Choreograph das von James McMillan (geb. 1959) komponierte Stück mit 70 jungen Tänzern und dem Scottish Chamber Orchestra 1992 beim Gipfeltreffen in Edinburgh aufgeführt. Am Freitagabend hatte das Stück im ausverkauften Hans Otto Theater Premiere. Auch die weiteren Aufführungen am Samstag und Sonntag waren ausverkauft.
Bevor es los geht, versucht die Schulleiterin Vera Paul noch, zu hohe Erwartungen herunter zu schrauben. Potsdam ist nicht Berlin, sagt sie. „Rhythm is it“, der bekannte Film über ein Tanzprojekt, das Maldoom mit Berliner Schülern und in Zusammenarbeit mit den Philharmonikern inszenierte, ist für sie kein Maßstab. Und doch hat jeder, der ihn kennt, den Film vor Augen, als Bilder von den Potsdamer Jugendlichen auf die Bühne projiziert werden: von den Proben, dem Färben der Kostüme, dem Plakate malen und Essen kochen für die Tänzer. Man sieht Mädchen und Jungs, die mit Elan bei der Sache sind. Und die 28 Minuten danach zeigen dann auch, dass die Potsdamer Schüler sich durchaus mit den Berlinern messen können. Sie bringen ein Stück auf die Bühne, das begeistert.
Nicht, dass Royston Maldoom in den drei Wochen aus jedem Jugendlichen einen makellosen Tänzer gemacht hätte, der mit Brillanz seinen Körper sprechen lässt. Aber es ist ihm gelungen, die Mädchen und Jungs zum selbstbewussten Tanzen zu bringen. Sie gehen nicht mehr, sie schreiten durch den Raum, aufrecht und konzentriert.
In „Tryst“ geht es puristisch zu. Einfache Mittel, große Wirkung. Die Kostüme sind schlicht grau, T-Shirt und bequeme Stoffhose für alle. Die Bühne ist ohne Dekoration. Nur Scheinwerfer spielen mit Hell und Dunkel. Einfache Zäune werden auf- und abgebaut, Menschen eingesperrt, voneinander abgetrennt. Sie kriechen über den Boden, ringen miteinander, stoßen sich weg oder lassen sich fallen. Aber nicht nur das. Es wird in der Geschichte auch gestreichelt, getragen und gestützt. Dabei funktioniert die kunstvolle Choreographie mit einfachen Schritten, mit Laufen, kleinen Sprüngen und Gesten. Mehr als 100 Schüler, die sich wie ein Ganzes nach vorn bewegen, im Gleichschritt, nach rechts und wieder zurück. Zu einem dramatisch, oft schrillen, disharmonischen Rhythmus, der wie ein gemeinsamer Puls die Reihen in Bewegung hält. Sehr schön auch die Szenen, in denen alle Tänzer zu einem Standbild verschmelzen.
Die wenigen Jugendlichen, die Royston Maldoom für größere Rollen ausgewählt hat, runden das Stück ab, sie erzählen im Detail und präsentieren dabei gekonnt auch gewagtere Figuren: Stark das Motiv, als eine Hand voll Paare auf der Bühne stehen: Ein Tänzer hält den anderen, lässt ihn langsam abrutschen und schließlich fallen. Besonders einprägsam auch der Höhepunkt der Geschichte: Über einen Zaun hinweg streicheln sich zwei Mädchen, die eine lehnt den Kopf an die Schulter der anderen. Langsame, schöne Momente.
Am Ende ist der Frieden weit weg. Es bleibt das Bild einer Gruppe am Boden Liegender. Eine Hand gräbt sich durch die Körper nach oben, sucht Hilfe.
Das Publikum ist begeistert. Viermal müssen die Tänzer auf die Bühne zurück, um sich zu verbeugen. Der berühmte Choreograph erscheint am Premierenabend nicht auf der Bühne. Er lässt den Jugendlichen ihren Ruhm.
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