Kultur: Von Opportunismus, Verdrängen, Hellsicht und Mut ist die Rede Ausstellung „Die dritte Front“ in
Tucholsky-Gedenkstätte Rheinsberg
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Tucholsky-Gedenkstätte Rheinsberg Von Jürgen Israel Ausgerechnet die Eule, das, wie Kulturministerin Prof. Johanna Wanka bei der Ausstellungseröffnung ausdrücklich hervorhob, antike Zeichen für Wissenschaft, Literatur und Kultur, ziert Plakat, Einladungszettel (auf gut neudeutsch: flyer) und Begleitband der Ausstellung „Die Dritte Front. Literatur in Brandenburg 1930-1950“! Dabei ist in der von Peter Walther konzipierten Ausstellung des Brandenburegischen Literaturbüros viel von Opportunismus, Verdrängung und Lüge zu sehen und zu lesen. Aber auch von Geradlinigkeit, Hellsicht und Mut. Zu den Hellsichtigen gehörte beispielsweise der Dichter Helmut Kasack (1896-1966). Er warnte bereits 1930 vor der Nazidiktatur. 1949 verließ er die sowjetische Besatzungszone und ging in den Westen, weil er im Osten den beginnenden Totalitarismus, die erneute Instrumentalisierung der Kunst für politische Propaganda sowie die zunehmende Unfreiheit erkannte. Kasack ist in der Ausstellung viel Platz zugebilligt worden. Er war, was heute nur noch wenige wissen, ein regelrechter Rundfunkpionier. Er führte literarische Sendungen in das Rundfunkprogramm ein und entwickelte angemessene Formen dafür. Blieb Kasack sich selbst treu, so bezeichnet der Schriftsteller Herbert Scurla (1905-1981) die gegenteilige Position: er kam den politischen Erwartungen der Nazis und danach denen der Kommunisten entgegen. 1940 schrieb er, im modernen Krieg werde „an drei Fronten gerungen. Es geht um die politische und wirtschaftliche wie um die geistige Existenz.“ Die geistig-moralischen Kräfte bildeten im Krieg die „Dritte Front“. Sie müssten für den Sieg gestärkt werden. Bereits 1933 hatte er eine „Auflehnung gegen das Jüdische“ gefordert und die „unerträglich werdende Vorherrschaft der Juden in Staat, Politik, Wirtschaft und geistigem Leben mit ihren Auswüchsen in geistiger und moralischer Zersetzung und wirtschaftlicher Korruption“ kritisiert. Der so genannte „Assimilationsjude“ störe den „Neubau“ des Deutschen Reiches. Mit einem Buch über die „Assimilationsjüdin“ Rahel Varnhagen erzielte Scurla 1962 einen seiner größten Bucherfolge in der DDR. 1974 wurde er mit dem Vaterländischen Verdienstorden der DDR in Gold ausgezeichnet. Seine braune Vergangenheit hatte er verleugnet. Brandenburgische Schriftsteller waren auch in Konzentrationslagern inhaftiert, wenn ihre politischen Ansichten denen der Nazis widersprachen. Erinnert wird an Mühsam und Ossietzky. Zu den eindrucksvollsten Tafeln gehört diejenige über den literarischen Führerkult in der Hitlerzeit und in der frühen DDR. Ähnliche Gesten der Angehimmelten, Hitler und Stalin, und ähnliche Gesten ihrer Verehrer verdeutlichen, dass Strukturen und Mechanismen totalitärer Systeme ähnliches Verhalten hervorrufen. In ihrem Grußwort zur Eröffnung erklärte Johanna Wanka, die Ausstellung könne zum Nachdenken darüber anregen, wie wir Heutigen, die wir in keiner Diktatur leben, die demokratischen Möglichkeiten unseres Landes nutzen. Kritischer Geist und unvoreingenommenes Denken seien auch in demokratischen Staatswesen gefragt und notwendig, nicht nur in Diktaturen.Die Ausstellung verlangt den Betrachtern Aufmerksamkeit und selbständiges Denken ab. Schlussfolgerungen aus der Geschichte, der privaten wie der gesellschaftlichen, muss der Besucher selber ziehen. In dem sich die Ausstellung den einfachen Antworten, den einfachen Schuldzuweisungen und den einfachen Entschuldigungen verweigert, leistet sie auch methodisch einen Beitrag zur Stärkung von geistiger Unabhängigkeit und vorteilsfreier Urteilskraft. Der Ausstellung sind viele Besucher zu wünschen: für ältere wird sie einen Teil ihres eigenen Lebens widerspiegeln; für jüngere ist sie eine außergewöhnliche Möglichkeit, komplexe Sachverhalte begreifen zu lernen und einen Ausschnitt jüngster Geschichte aus einem ungewöhnlichen Blickwinkel zu betrachten. Ab Sommer wird sie im Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte im Potsdamer Kutschstall zu sein. Bis 25. 4. in der Kurt-Tucholsky-Gedenkstätte im Schloss Rheinsberg zu sehen; Di - So 9.30 - 12.30 Uhr und 13 - 17 Uhr.
Jürgen Israel
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